Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
vereinfachte Version der offiziellen Patriotenflagge erkenne – ein großer silberner Stern mit drei silbernen V-Linien darunter. Ziemlich schlau, es nur an die Wand zu projizieren, wird mir klar, denn so können sie es einfach ausschalten und schnell weiterziehen, wenn es sein muss. Ein paar der Bildschirme zeigen dieselben Luftschiffpläne, wie ich sie schon an Bord der Dynasty gesehen habe. Auf anderen sehe ich Bilder, die von Überwachungskameras aus irgendwelchen Regierungsbüros zu stammen scheinen, Filmmaterial von den Straßen von Lamar oder den Decks der Luftschiffe direkt an der Front. Auf einem läuft sogar eine kurze Serie von Patrioten-Propagandaspots, die für meinen Geschmack ein bisschen zu sehr an die der Republik erinnern: Vereinigt die Staaten , huscht über den Bildschirm, gefolgt von Für ein Leben in Freiheit und dann Wir sind alle Amerikaner . Andere wiederum zeigen mit bunten Markierungspunkten gesprenkelte Karten von Kontinentalamerika – und auf zweien sehe ich Weltkarten.
Eine Weile starre ich darauf. Noch nie in meinem Leben habe ich eine Weltkarte gesehen. Ich weiß nicht mal, ob es so etwas in der Republik überhaupt gibt. Hier aber sehe ich die Ozeane, die Nordamerika umschließen, die verstreuten Inseln, die unter dem Begriff Südamerika zusammengefasst sind, ein winziges Archipel mit dem Namen Britische Inseln , gigantische Landmassen, die die Bezeichnungen Afrika und Antarktis tragen, den Staat China (dessen Küste von einer Reihe roter Markierungspunkte im Ozean eingerahmt wird).
Das hier also ist die echte Welt – und nicht das, was die Republik ihren Bürgern weismachen will.
Alle im Raum sehen mich an. Ich wende mich von der Karte ab und warte darauf, dass Kaede etwas sagt. Doch sie zuckt bloß mit den Schultern und versetzt mir einen Klaps auf den Rücken. Meine durchnässte Jacke gibt ein schmatzendes Geräusch von sich.
»Das hier ist Day.«
Die anderen warten schweigend ab, obwohl ich etwas in ihren Blicken aufflackern sehe, als sie meinen Namen hören. Dann stößt jemand einen bewundernden Pfiff aus. Der Bann ist gebrochen, ein Chor aus Kichern und Gelächter erhebt sich und kurz darauf wenden sich alle wieder dem zu, was sie vorher gemacht haben.
Kaede führt mich durch das Gewirr aus Tischen. Ein paar Leute stehen über ein Diagramm gebeugt, während eine andere Gruppe Kisten auspackt; einige sitzen ganz entspannt da und sehen sich eine Folge irgendeiner Republik-Seifenoper an. Zwei Patrioten hocken vor einem Bildschirm in der Ecke, vertieft in ein Videospiel, und rufen sich provozierende Bemerkungen zu, während sie eine blaue Stachelkreatur über den Bildschirm flitzen lassen, indem sie mit den Händen davor herumfuchteln. Das Spiel muss eigens für die Patrioten gemacht worden sein, denn alle Objekte darin sind blau und weiß.
Ein Junge geht kichernd an uns vorbei. Er hat einen blond gefärbten Haarwust, der mit Gel zu einer Art Irokesenfrisur gestylt ist, bronzefarbene Haut, und seine breiten, muskulösen Schultern wirken permanent angespannt, so als wäre er kurz davor, die Flucht zu ergreifen. Außerdem fehlt ein Stück seines Ohrläppchens. Mir wird klar, dass er es war, der einen Moment zuvor den Pfiff ausgestoßen hat.
»Du bist also der Trottel, der Tess sitzengelassen hat.« Der Typ hat eine Arroganz an sich, die Wut in mir aufsteigen lässt. Missbilligend mustert er mich. »Ist mir echt ein Rätsel, was so ein nettes Mädel an einem wie dir findet. Hast dich von ein paar Nächten im Republikgefängnis gleich kleinkriegen lassen, was?«
Ich mache einen Schritt auf ihn zu und grinse fröhlich. »Nichts für ungut, aber dein hübsches Gesicht habe ich noch nirgends auf den Fahndungsplakaten der Republik gesehen.«
»Das reicht.« Kaede drängt sich zwischen uns und bohrt dem anderen Jungen ihren Zeigefinger in die Brust. »Baxter, solltest du dich nicht auf deine Mission morgen Nacht vorbereiten?«
Der Typ grunzt bloß und wendet sich dann ab. »Ich kapier einfach nicht, warum wir uns mit so ’nem Republik-Schoßhündchen abgeben«, grummelt er.
Kaede tätschelt mir im Weitergehen die Schulter. »Kümmere dich nicht um den Kerl. Baxter ist nicht unbedingt ein Fan von deiner Freundin June. Aber er könnte dir ziemlichen Ärger machen, also sieh zu, dass du ihn nicht allzu sehr gegen dich aufbringst, klar? Du wirst mit ihm zusammenarbeiten müssen. Er ist auch ein Melder.«
»Ach ja?«, frage ich. Ich hätte nicht gedacht, dass so ein Gorilla ein
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