Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
besonders schneller Läufer ist – andererseits kann er sich vielleicht mithilfe seiner Muskelkraft an Stellen manövrieren, mit denen ich meine Probleme hätte.
»Oh ja, und du hast ihn gerade in der Hierarchie einen Rang weiter nach unten geschubst.« Kaede grinst hämisch. »Außerdem hast du ihm mal bei einer Patriotenmission die Tour vermasselt. Und es noch nicht mal mitbekommen.«
»Was? Was war das denn für eine Mission?«
»Ein Bombenangriff auf den Wagen von Test-Administrator Chian in Los Angeles.«
Wow – meine Attacke auf Chian ist schon ziemlich lange her. Ich hatte keine Ahnung, dass die Patrioten offenbar etwas Ähnliches vorgehabt hatten. »Das ist natürlich tragisch«, entgegne ich. Nach Baxters Erwähnung von Tess suche ich schon die ganze Zeit die Gesichter im Raum ab.
»Falls du nach Tess Ausschau hältst, die war schon lange vor uns hier. Jetzt ist sie bei den anderen Sanitätern.« Kaede deutet auf eine Reihe von Türen am anderen Ende des Raums. »Steht wahrscheinlich im Krankenflügel und sieht irgendwem dabei zu, wie man eine Wunde näht. Lernt verdammt schnell, die Gute.«
Kaede führt mich an den Tischen und den anderen Patrioten vorbei und bleibt schließlich vor einer der Weltkarten stehen. »Ich wette, so was hast du noch nie gesehen.«
»Nee.« Kopfschüttelnd betrachte ich die Landmassen. Der Gedanke, dass es jenseits der Republikgrenzen so viele funktionierende Gesellschaften geben soll, verwirrt mich noch immer. In der Grundschule hat man uns beigebracht, dass jene Teile der Welt, die nicht zur Republik gehören, nichts weiter als zerrüttete Nationen sind, die ums Überleben kämpfen. Können das denn wirklich so viele Länder sein? Oder sind sie vielleicht gar nicht so arm dran, sondern vielleicht sogar wohlhabend? »Wofür braucht ihr Weltkarten?«
»Es haben sich auf der ganzen Welt Organisationen nach unserem Beispiel geformt«, erklärt Kaede und verschränkt die Arme. »Überall da, wo die Menschen stinkig auf ihre Regierungen sind. Soll eine Ermutigung für uns alle sein, die an der Wand zu sehen.« Als sie sieht, dass ich weiterhin konzentriert die Karte betrachte, deutet sie mit dem Finger auf die ungefähre Mitte Nordamerikas. »Das hier ist die Republik, wie wir sie kennen und lieben. Und das da sind die Kolonien.« Sie zeigt auf einen kleineren, ausgefransten Streifen Land, der im Osten an die Republik grenzt. Ich sehe mir die roten Punkte, die die Städte in den Kolonien markieren, genauer an. New York City, Charleston, St. Louis, Indianapolis. Sind sie wirklich so prunkvoll, wie mein Vater sie immer beschrieben hat?
Als Nächstes deutet Kaede auf die Gebiete im Norden und im Süden. »Kanada und Mexiko haben streng entmilitarisierte Zonen zwischen sich und ihren Grenzen sowohl zur Republik als auch zu den Kolonien errichtet. Mexiko hat seine eigene Patriotengruppe. Und hier ist das, was noch von Südamerika übrig ist. Das alles hier war mal ein ganzer Kontinent, weißt du? Jetzt gibt es nur noch Brasilien«, sie deutet auf eine große, dreieckige Insel weit südlich der Republik, »Chile und Argentinien.«
Kaede zeigt mir geduldig ein Land nach dem anderen und erklärt mir, wie sie früher einmal ausgesehen haben. Ich erfahre, dass die Inseln Norwegen, Frankreich, Spanien und Großbritannien einmal Teil eines viel größeren Kontinents namens Europa gewesen sind. Der Rest des europäischen Volks, sagt Kaede, ist vor den Überflutungen nach Afrika geflohen. Russland und die Mongolei sind keine untergegangenen Zivilisationen, im Gegensatz zu dem, was man uns in der Republik beibringt. Australien war einmal ein durchgehender Kontinent. Und dann die Supermächte. Chinas riesige Wassermetropolen sind mitten im Ozean errichtet worden und der Himmel dort ist permanent schwarz. »Hai Cheng«, erklärt Kaede. »Seestädte.« Ich erfahre, dass Afrika nicht immer der blühende, technologisch hoch entwickelte Kontinent war, der er heute ist und der sich nach und nach immer mehr mit Universitäten, Wolkenkratzern und Flüchtlingen aus aller Herren Länder füllt. Und die Antarktis, kaum zu glauben, war früher einmal unbewohnt und vollkommen mit Eis bedeckt. Heute findet man dort, genau wie in China und Afrika, die Welthochburgen des technischen Fortschritts, die Unmengen von Touristen anziehen. »Verglichen damit ist der Stand der Technik in der Republik und in den Kolonien erbärmlich«, fügt Kaede hinzu. »Irgendwann will ich mal eine Reise in die Antarktis
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