Legend - Fallender Himmel
gesorgt hast.«
Er stößt eine Art verächtliches Kichern aus, aber ich merke ihm an, dass sein größter Ärger bereits verflogen ist. »Ja, klar. Das sagst du doch jedes Mal, Junebug. Schaffen die auf der Drake es denn nicht, dein Gehirn genug auf Trab zu halten? Wenn nicht die, wer sonst?«
»Tja, du weißt doch ... Wenn du mich mal auf eine deiner Missionen mitnehmen würdest, dann würde ich tausendmal mehr lernen, ganz ohne dir Ärger zu machen.«
»Netter Versuch. Du gehst nirgendwohin, bevor du nicht deinen Abschluss gemacht hast und offiziell deinen Dienst antrittst.«
Ich beiße mir auf die Zunge. Letztes Jahr hat Metias mich tatsächlich mit auf eine Mission genommen - ein einziges Mal, als alle Drake-Studenten meiner Jahrgangsstufe an einem Einsatz der Streitkräfte teilnehmen sollten. Metias’ Commander hatte ihm aufgetragen, einen entflohenen Kriegsgefangenen aus den Kolonien zu töten. Also nahm Metias mich mit und gemeinsam jagten wir den Flüchtling immer tiefer und tiefer in unser Territorium hinein, weg von den Grenzzäunen und dem Streifen Land, der von Dakota bis hinunter nach Westtexas verläuft und die Republik von den Kolonien trennt, weg von der Front, wo der Himmel voller Luftschiffe ist. Ich verfolgte seine Spur bis in eine Gasse in Yellowstone City, Montana, wo Metias ihn schließlich erschoss.
Während der Verfolgungsjagd fing ich mir drei gebrochene Rippen und einen Messerstich ins Bein ein. Seitdem weigert sich Metias, mich irgendwohin mitzunehmen.
Als er wieder etwas sagt, klingt seine Stimme wider Willen neugierig. »Also, erzähl schon«, flüstert er. »In welcher Zeit hast du die vierzehn Stockwerke geschafft?«
Thomas stößt ein tadelndes Schnauben aus, aber ich grinse breit. Der Sturm scheint sich gelegt zu haben. Metias hat mich wieder lieb. »Sechs Minuten«, flüstere ich zurück. »Und vierundvierzig Sekunden. Na, was sagst du jetzt?«
»Das muss ein neuer Rekord sein. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich mit solchen Aktionen einverstanden bin.«
Thomas hält exakt an der weißen Linie vor einer roten Ampel und wirft Metias einen ungehaltenen Blick zu. »Also wirklich, Captain«, rügt er. »June ... äh ... Ms Iparis wird ihr Verhalten bestimmt nicht ändern, wenn Sie sie jedes Mal, wenn sie die Regeln bricht, auch noch loben.«
»Entspannen Sie sich, Thomas.« Metias streckt den Arm aus und gibt ihm einen Klaps auf den Rücken. »Hin und wieder mal eine Regel zu brechen ist in Ordnung, wenn man damit seine eigenen Fähigkeiten zugunsten der Republik trainieren will. Zugunsten des Sieges gegen die Kolonien. Stimmt’s?«
Die Ampel springt auf Grün um. Thomas wendet seinen Blick wieder der Straße zu (er scheint in Gedanken bis drei zu zählen, bevor er wieder anfährt). »Stimmt«, brummt er. »Sie sollten trotzdem aufpassen, wozu Sie Ihre Schwester ermutigen, besonders da Ihre Eltern nicht mehr da sind.«
Metias’ Mund wird zu einer dünnen Linie und ein vertrauter angespannter Ausdruck tritt in seine Augen.
Egal wie gut meine Intuition ist, egal wie brillant meine Zensuren in Selbstverteidigung, Zielschießen und Nahkampf an der Drake sind, immer liegt in Metias’ Augen diese Angst. Die Angst, dass mir eines Tages etwas zustoßen könnte - wie der Autounfall, der uns unsere Eltern genommen hat. Diese Angst lässt sich durch nichts aus seinem Gesicht vertreiben. Und das weiß auch Thomas.
Ich kannte unsere Eltern nicht lange genug, um sie so sehr zu vermissen wie Metias. Wenn ich um sie weine, dann weine ich, weil ich keine Erinnerungen an sie habe. Nur verschwommene Bilder von langen Erwachsenenbeinen, die durch unsere Wohnung eilen, und Händen, die mich aus meinem Hochstühlchen heben. Das ist alles. In allen anderen Erinnerungen an meine Kindheit - wie ich den Blick über ein Publikum schweifen lasse, als ich einen Preis verliehen bekomme, wie mir jemand Suppe kocht, als ich krank bin, wie ich abends ins Bett gebracht werde - taucht nur Metias auf.
Wir passieren die letzten Gebäude von Batalla und kommen an ein paar schäbigen Blocks vorbei. (Können diese Bettler sich denn nicht mal von unserem Jeep fernhalten?) Nach einer Weile halten wir vor den strahlenden Wolkenkratzern von Ruby. Wir sind zu Hause. Metias steigt als Erster aus. Als ich ihm folge, schenkt Thomas mir ein kleines Lächeln.
»Bis bald, Ms Iparis«, sagt er und tippt sich an die Mütze.
Ich habe es aufgegeben, ihn zu bitten, dass er mich June nennen soll - er wird sich nie
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