Legend - Fallender Himmel
die Füße bewege, kann ich das kalte Metall auf der Haut spüren. Die Beine meiner schwarzen Hose stecken in den Stiefelschäften und ich habe Handschuhe und ein schwarzes Taschentuch bei mir. Ich trage ein schwarzes T-Shirt und habe mir ein dunkles langärmliges Hemd um die Taille gebunden. Das Haar hängt mir offen über die Schultern. Diesmal habe ich mein Hellblond tiefschwarz übersprüht und fühle mich, als hätte ich den Kopf in einen Bottich mit Rohöl getaucht. Tess hat heute am Hinterausgang irgendeiner Küche fünf Noten gegen einen Eimer Zwergschweineblut eingetauscht. Ich habe es mir auf die Arme und ins Gesicht geschmiert. Als Letztes, um den Look perfekt zu machen, habe ich mir Schlamm auf die Wangen gerieben.
Das Krankenhaus nimmt die unteren zwölf Etagen des Gebäudes ein, aber mich interessiert nur eine einzige, die, auf der es keine Fenster gibt. In der dritten Etage befindet sich ein Labor, in dem Blutproben und Medikamente lagern. Von außen betrachtet, ist das Stockwerk komplett hinter aufwendigen Steinreliefs und ausgeblichenen Republikflaggen verborgen. Hinter der Fassade gibt es weder Flure noch Türen - bloß einen einzigen, gigantischen Raum voller Ärzte und Krankenschwestern mit weißem Mundschutz, Reagenzgläser und Pipetten, Brutschränke und Bahren. Ich weiß das, weil ich schon einmal dort gewesen bin. Es war der Tag, an dem ich durch den Großen Test gefallen bin, der Tag, an dem ich sterben sollte.
Meine Augen suchen die Seitenwand des Hochhauses ab. Manchmal gelingt es mir, in ein Gebäude einzubrechen, indem ich von außen daran hochklettere, wenn es Balkone gibt und ich von einem zum anderen springen kann oder Fensterbänke, um darüberzubalancieren. Einmal bin ich in fünf Sekunden ein vierstöckiges Gebäude hochgeklettert. Aber das Krankenhausgebäude ist zu glatt, es bietet keinerlei Halt für meine Füße. Ich werde mich von innen bis zum Labor durchschlagen müssen. Obwohl es warm ist, läuft mir ein Schauer über den Rücken und ich wünschte, ich hätte Tess mitgenommen. Aber zwei Eindringlinge sind leichter zu schnappen als einer. Außerdem ist es ja nicht ihre Familie, die Medikamente braucht. Ich vergewissere mich, dass mein Anhänger unter meinem T-Shirt versteckt ist.
Ein Militärtransporter hält hinter den Jeeps. Ein paar Soldaten steigen aus und grüßen die Schwestern, während andere Kisten aus dem Wagen laden. Der Befehlshaber der Gruppe ist ein dunkelhaariger junger Mann, der, bis auf die zwei goldenen Knopfreihen an seiner Offiziersjacke, ganz in Schwarz gekleidet ist. Ich spitze die Ohren, um zu hören, was er zu einer der Krankenschwestern sagt.
»... aus der Gegend um das Seeufer herum.« Der Mann zieht seine Handschuhe straff. Ich erhasche einen Blick auf die Waffe an seinem Gürtel. »Meine Männer werden heute Nacht die Eingänge bewachen.«
»Ja, Captain.« Die Schwester nickt.
Der Mann tippt sich an die Mütze. »Mein Name ist Metias. Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, wenden Sie sich an mich.«
Ich warte, bis sich die Soldaten um das Krankenhaus verteilt haben und der Mann namens Metias in ein Gespräch mit zweien seiner Männer vertieft ist. Ein paar weitere Krankenwagen fahren vor, liefern Soldaten ein und verschwinden wieder. Manche der Männer haben gebrochene Gliedmaßen, andere Platzwunden am Kopf oder Schnitte an den Beinen. Ich hole tief Luft, dann trete ich aus dem Schatten und stolpere auf den Eingang des Krankenhauses zu.
Eine Krankenschwester entdeckt mich als Erste, kurz vor dem Haupteingang. Ihr Blick wandert zu dem Blut auf meinen Armen und meinem Gesicht.
»Könnt ihr mich aufnehmen, Cousine?«, rufe ich ihr zu. Ich stöhne vor gespielten Schmerzen. »Habt ihr noch Platz für mich? Ich bezahle auch.«
Sie sieht mich völlig ungerührt an und kritzelt dann weiter in ihrem Notizbuch herum. Sieht aus, als hätte ich mir das vertrauliche Cousine auch sparen können. Um ihren Hals baumelt ein Ausweis. »Was ist passiert?«, fragt sie.
Ich krümme mich vornüber, als ich bei ihr ankomme, und stütze meine Hände auf die Knie. »Bin in einen Kampf geraten«, keuche ich. »Ich glaub, ich hab ’nen Messerstich abbekommen.«
Die Krankenschwester würdigt mich keines zweiten Blickes. Sie schreibt zu Ende und nickt dann einem der Wächter zu. »Durchsuchen Sie ihn.«
Ich bleibe reglos stehen, als zwei Soldaten mich nach Waffen durchsuchen. Jedes Mal, wenn sie meine Arme oder meinen Bauch berühren, stöhne ich glaubwürdig auf.
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