Legend - Fallender Himmel
respektieren mich, diskutieren und tratschen über mich - aber selten mit mir.
Aber so ist es wohl, das Leben einer Fünfzehnjährigen im Abschlussjahrgang an einer Uni, an der man eigentlich erst mit sechzehn zu studieren beginnt.
Metias sagt kein Wort, während wir durch die Flure gehen, vorbei an der peinlich genau gestutzten Rasenfläche im Innenhof und der Statue des ehrwürdigen Elektors und schließlich durch eine der Trainingshallen. Dort findet gerade der Nachmittagskurs statt, an dem ich eigentlich hätte teilnehmen sollen. Ich sehe zu, wie meine Kameraden über eine gigantische Bahn rennen, die von einem 360-Grad-Bildschirm umgeben ist, auf dem eine Szene mit einer zerbombten Straße irgendwo an der Front zu sehen ist. Sie halten ihre Gewehre vor sich und versuchen, sie im Laufen zu laden und zu entladen, so schnell sie können. An den meisten anderen Unis gibt es gar nicht so viele Soldatenanwärter, aber wir von der Drake sind fast alle für eine Karriere beim Militär vorgesehen. Ein paar haben Aussicht auf eine Stelle in der Politik oder beim Kongress, während andere hierbleiben und Dozentenpositionen übernehmen werden. Die Drake ist die beste Uni der ganzen Republik, und da die Besten von uns nun mal zum Militär geschickt werden, ist die Trainingshalle ziemlich gut gefüllt.
Als ich schließlich auf den Rücksitz des wartenden Militärjeeps klettere, kann Metias seinen Ärger kaum noch im Zaum halten. »Eine Woche suspendiert? Kannst du mir das bitte mal erklären?«, verlangt er. »Da komme ich vom Dienst, nachdem ich mich den ganzen Morgen mit diesen Patriotenrebellen herumgeschlagen habe, und was höre ich als Erstes? Helikoptereinsatz zwei Blocks von der Drake entfernt. Weil ein Mädchen einen Wolkenkratzer hochklettert.«
Ich wechsele einen freundlichen Blick mit Thomas, dem Soldaten hinter dem Steuer. »Tut mir leid«, murmele ich.
Metias dreht sich auf dem Beifahrersitz um und funkelt mich wütend an. »Was hast du dir denn dabei gedacht? War dir etwa nicht klar, dass du dich vom Campusgelände entfernt hattest?«
»Doch.«
»Natürlich. Du bist schließlich fünfzehn. Kletterst vierzehn Stockwerke an einem -« Er holt tief Luft, schließt die Augen und versucht sich zusammenzureißen. »Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du mich mal meinen Dienst machen lassen würdest, ohne dass ich mich ständig darum sorgen muss, was du wohl gerade wieder anstellst.«
Ich versuche, im Rückspiegel Thomas’ Blick aufzufangen, aber seine Augen sind fest auf die Straße gerichtet. Klar, von ihm brauche ich mir wohl kaum Unterstützung zu erhoffen. Er sieht so tadellos aus wie immer, das Haar perfekt zurückgekämmt, die Uniform frisch gebügelt. Nicht eine einzige Faser scheint aus der Reihe zu tanzen. Thomas mag ein paar Jahre jünger als Metias und ihm im Dienst untergeben sein, aber er ist der disziplinierteste Mensch, den ich kenne. Manchmal wünschte ich, ich hätte auch solch eine eiserne Disziplin. Wahrscheinlich missbilligt Thomas meine Kunststückchen sogar noch mehr als Metias.
Wir verlassen die Innenstadt von Los Angeles und folgen schweigend den Windungen des Highways. Langsam verändert sich die Szenerie und die hundertstöckigen Wolkenkratzer des Batalla-Sektors weichen dicht an dicht stehenden Kasernentürmen und Zivilgebäuden, die allesamt nicht höher sind als zwanzig oder dreißig Stockwerke. Auf den Dächern blinken rote Lichtsignale und die meisten Gebäude haben während der diesjährigen Sturmsaison einen Großteil ihrer Farbschicht eingebüßt. Kreuz und quer über die Außenwände verlaufen metallene Stützstreben - ich hoffe wirklich, dass sie bald verstärkt werden. Der Krieg tobt seit einiger Zeit ziemlich heftig, und nachdem nun schon seit Jahrzehnten ein großer Teil der finanziellen Mittel, die eigentlich für die Infrastruktur gedacht waren, in die Aufrüstung fließt, bin ich mir nicht sicher, ob diese Bauten auch nur ein einziges weiteres Erdbeben überstehen würden.
Nach ein paar Minuten klingt Metias’ Stimme schon viel ruhiger. »Du hast mir heute wirklich einen Riesenschreck eingejagt. Ich hatte Angst, sie könnten dich für Day halten und auf dich schießen.«
Ich weiß, dass er mir damit kein Kompliment machen will, aber ich muss trotzdem lächeln. Ich beuge mich vor und stütze meine Arme auf die Rückenlehne seines Sitzes. »Hey«, sage ich und zupfe an seinem Ohr, so wie ich es immer gemacht habe, als ich noch klein war. »Tut mir leid, dass du dich
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