Legend - Fallender Himmel
machen.
Mom steht in unserer winzigen Küche und versucht, das Abendessen zuzubereiten. Der Anblick ist mir nur zu vertraut. Ihre Hände sind dick bandagiert - sie muss sich an zerbrochenen Flaschen oder leeren Dosen geschnitten haben, als sie heute die Mülleimer an der Union Station durchsucht hat. Sie verzieht das Gesicht, während sie mit der flachen Seite eines Messers gefrorene Maiskörner zerdrückt. Ihre verletzten Hände zittern.
»Warte, Mom. Ich helfe dir.« Ich will aufstehen, aber meine Füße sind wie am Boden festgeklebt.
Nach einer Weile hebe ich den Kopf, um zu sehen, was Eden jetzt malt. Zuerst kann ich die Formen nicht zuordnen - sie wirken durcheinandergewürfelt, so als hätte seine geschäftige Hand sie vollkommen willkürlich zusammengefügt.
Als ich genauer hinsehe, erkenne ich, dass er Soldaten malt, die in unser Haus eindringen. Er malt sie mit blutrotem Buntstift.
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Fahles Licht, grau und dämmrig, sickert durch das nahe Fenster herein. Ich höre das schwache Prasseln von Regentropfen. Ich befinde mich in einem Raum, der wie ein verlassenes Kinderzimmer aussieht. Die Tapete ist blau und gelb und wellt sich an den Ecken. Zwei Kerzen erhellen den Raum. Ich spüre, dass meine Füße über die Bettkante ragen. Unter meinem Kopf liegt ein Kissen. Als ich mich bewege, stöhne ich auf und schließe die Augen.
Tess’ Stimme dringt zu mir herüber. »Kannst du mich hören?«
»Nicht so laut, Cousine.« Meine Stimme ist nur ein Flüstern durch trockene Lippen. In meinem Kopf hämmert ein greller Schmerz. Tess liest mir die Qual vom Gesicht ab und sagt nichts mehr, während ich die Augen geschlossen halte und abwarte. Der Schmerz wütet weiter wie ein Eispickel, der sich mit rhythmischen Schlägen in meinen Hinterkopf gräbt.
Nach einer Ewigkeit lassen die Kopfschmerzen ein wenig nach. Ich öffne die Augen. »Wo bin ich? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Tess’ Gesicht erscheint in meinem Blickfeld. Sie hat ihr Haar zu einem kurzen Zopf geflochten und ihr rosa Mund ist zu einem Lächeln verzogen. »Ob mit mir alles in Ordnung ist?«, wiederholt sie. »Du warst zwei Tage lang bewusstlos. Wie geht es dir denn?«
Der Schmerz kommt in Schüben, diesmal rührt er von den Wunden her, mit denen mein Körper übersät sein muss. »Großartig.«
Tess’ Lächeln erstirbt. »Diesmal bist du echt knapp davongekommen - so knapp wie noch nie. Wenn ich nicht jemanden gefunden hätte, der uns aufnimmt, glaube ich nicht, dass du es geschafft hättest.«
Mit einem Mal stürmt alles wieder auf mich ein. Ich erinnere mich an den Krankenhauseingang, den gestohlenen Ausweis, das Treppenhaus und das Labor, den tiefen Sturz, mein Messer, das auf den jungen Captain zufliegt, die Kanalisation. Die Medikamente.
Die Medikamente. Ich versuche, mich aufzusetzen, aber ich habe mich zu schnell bewegt und muss mir vor Schmerzen auf die Unterlippe beißen. Meine Hand wandert zu meinem Hals - doch dort hängt kein Anhänger, an dem ich mich festhalten kann. Ich spüre ein Stechen in der Brust. Ich habe ihn verloren. Mein Vater hat mir diesen Anhänger geschenkt und ich war nachlässig genug, ihn zu verlieren.
Tess versucht, mich zu beruhigen. »Ganz langsam.«
»Ist mit meiner Familie alles in Ordnung? Haben ein paar von den Medikamenten den Fall überstanden?«
»Ein paar.« Tess hilft mir, mich wieder hinzulegen, und stützt dann die Ellbogen auf meine Matratze. »Seuchenhemmer sind bestimmt besser als nichts, davon wird man zwar nicht wieder gesund, aber wenigstens unterdrücken sie die Symptome. Ich hab sie schon bei dir zu Hause abgeliefert, zusammen mit deinen Geschenken. Ich bin hintenrum gegangen und hab alles John gegeben. Er meinte, ich soll dir Danke sagen.«
»Du hast John doch nicht erzählt, was passiert ist, oder?«
Tess verdreht die Augen. »Glaubst du etwa, das hätte ich irgendwie vor ihm geheim halten können? Inzwischen hat doch jeder von dem Einbruch ins Krankenhaus gehört. John weiß, dass du verletzt wurdest. Er ist ziemlich sauer auf dich.«
»Hat er gesagt, wer von ihnen krank ist? Ist es Eden? Mom?«
Tess kaut auf ihrer Unterlippe. »Es ist Eden. John sagt, ihm und deiner Mutter geht es so weit gut. Aber immerhin kann Eden sprechen und wirkt ziemlich munter. Er will andauernd aufstehen und deiner Mutter dabei helfen, die undichte Stelle unter der Spüle zu reparieren, um zu zeigen, dass es ihm gut geht. Aber sie schickt ihn natürlich immer zurück ins
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