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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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sehe ich, wie Moms Schatten in der Mitte des Raums verharrt. Sie sagt nichts. Ich stelle mir vor, wie sie dasteht, mit hängenden Schultern, den Kopf in den Händen vergraben, und ihre tapfere Miene nicht mehr standhält.
    John seufzt. Über mir erklingen Schritte und ich weiß, dass er durchs Zimmer gegangen ist, um sie in den Arm zu nehmen. »Eden wird schon wieder gesund. Vielleicht ist dieses Virus ja gar nicht so gefährlich und er erholt sich von ganz allein wieder.« Einen Moment lang ist es still. »Ich gehe mal nachsehen, was wir zum Suppekochen dahaben.« Ich höre, wie er das Schlafzimmer verlässt.
    Ich weiß, dass John seine Arbeit im Dampfkraftwerk hasst, aber bevor er unter Quarantäne stand, ist er so immerhin mal aus dem Haus gekommen und konnte eine Weile über andere Dinge nachdenken. Jetzt ist er hier gefangen und hat keine Möglichkeit, Eden zu helfen. Es muss schrecklich für ihn sein. Ich kralle die Finger in die Erde unter mir und mache eine Faust, so fest ich kann.
    Wenn es im Krankenhaus doch nur ein Gegenmittel gegeben hätte.
    Ein paar Sekunden später sehe ich Mom durchs Zimmer gehen und sich an Edens Bett setzen. Ihre Hände sind wieder dick bandagiert. Sie murmelt ihm tröstende Worte zu und beugt sich über ihn, um ihm das Haar aus der Stirn zu streichen. Ich schließe die Augen und rufe mir ihr Gesicht in Erinnerung, wie es früher aussah, sanft und schön und besorgt, mit leuchtend blauen Augen und einem Lächeln auf den rosigen Lippen. Damals hat mich meine Mutter immer ins Bett gebracht, mich sorgfältig zugedeckt, die Decke glatt gestrichen und mir flüsternd schöne Träume versprochen. Ich frage mich, was sie in diesem Moment wohl Eden zuflüstert.
    Plötzlich fehlt sie mir so sehr wie noch nie. Ich bin kurz davor, aus meinem Versteck zu kriechen und an die Tür zu klopfen.
    Ich grabe meine Fäuste tiefer in die Erde. Nein. Das Risiko wäre zu groß. Ich werde einen Weg finden, wie ich dich retten kann, Eden. Versprochen. Dann verfluche ich mich dafür, dass ich so viel Geld bei einem Skiz-Kampf verwettet habe, anstatt mir eine sicherere Möglichkeit zu überlegen, an Geld zu kommen.
    Ich ziehe die Seeschlüsselblumen aus meinem Ärmel - einige Blüten sind etwas zerdrückt. So vorsichtig wie möglich stecke ich sie in den weichen Boden und drücke die Erde ringsum wieder fest. Mom wird sie hier wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen. Aber ich weiß, dass sie da sind. Die Blumen sind ein Beweis für mich selbst, dass ich noch am Leben bin. Und noch immer über meine Familie wache.
    Mein Blick bleibt an etwas Rotem in der Erde neben den Seeschlüsselblumen hängen. Ich runzele die Stirn und wische etwas Erde zur Seite, um besser sehen zu können, was darunter ist. Ich erkenne eine Inschrift unter all dem Dreck und den Steinchen.
    Es ist eine Zahl, eine Zahl, wie Tess und ich sie auch am Seeufer entdeckt haben, nur dass diese hier 2544 lautet.
    Als ich noch kleiner war, bin ich oft hier unten herumgekrabbelt, wenn meine Brüder und ich Verstecken spielten. Aber an so etwas kann ich mich nicht erinnern. Ich beuge mich vor und halte mein Ohr auf den Boden.
    Zuerst höre ich nichts. Dann ein schwaches Geräusch, eine Art Rauschen, gefolgt von Zischen und Gurgeln. Wie eine Flüssigkeit oder vielleicht Dampf. Da unten muss sich ein riesiges Rohrsystem befinden, irgendetwas, das bis zum See hinunterführt. Vielleicht durch den gesamten Sektor. Ich schiebe noch ein bisschen mehr Erde zur Seite, doch ich finde keine anderen Symbole oder Wörter. Die Zahl wirkt verwittert, so als wäre sie schon sehr alt, und die ausgeblichene Farbe blättert in kleinen Krümelchen ab.
    Ich bleibe noch eine Weile hier hocken und betrachte schweigend meinen Fund. Dann werfe ich einen letzten Blick durch den Lüftungsschacht ins Schlafzimmer und krieche unter der Veranda hervor, verschwinde in die Dunkelheit, in die Stadt.

JUNE
    Im Morgengrauen erwache ich. Ich blinzele ins grelle Licht (woher kommt es eigentlich - von hinten?) und einen Augenblick lang bin ich völlig orientierungslos, frage mich, warum ich in einem verlassenen Gebäude mit Blick auf den Ozean und Seeschlüsselblumen zu meinen Füßen geschlafen habe. Ein scharfer Schmerz in der Seite lässt mich aufkeuchen. Ich habe eine Stichwunde, denke ich voller Panik. Dann fällt mir der Skiz-Kampf wieder ein und das Messer und der Junge, der mich gerettet hat.
    Als Tess sieht, dass ich mich bewege, eilt sie zu mir. »Wie fühlst du dich?«
    Noch

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