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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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immer liegt Wachsamkeit in ihrem Blick. »Ein bisschen angeschlagen«, murmele ich. Ich will nicht, dass sie denkt, sie hätte meine Wunde schlecht versorgt, darum füge ich schnell hinzu: »Aber schon viel besser als gestern.«
    Es dauert eine geschlagene Minute, bis mir auffällt, dass der Junge, der mich gerettet hat, in einer Ecke des Raums sitzt, die Beine über die Balkonkante baumeln lässt und auf das Wasser hinausblickt. Ich bemühe mich, meine Verlegenheit zu überspielen. An einem normalen Tag, ohne Messerwunde, wäre mir so ein wichtiges Detail wie seine Anwesenheit niemals entgangen. Letzte Nacht ist er irgendwo hingegangen. Während ich immer wieder eingedöst bin, konnte ich mir lediglich die Richtung einprägen, in die er verschwunden ist (Süden, in die Gegend um die Union Station).
    »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass du noch ein paar Stunden warten musst, bis es etwas zu essen gibt«, sagt er zu mir. Er trägt seine alte Ballonmütze, aber ich kann ein paar blonde Haarsträhnen darunter erkennen. »Wir haben die Skiz-Wette verloren, darum haben wir im Moment kein Geld für Essen.«
    Er gibt mir die Schuld daran. Ich nicke nur. Ich denke an Days verzerrte Stimme aus den Lautsprechern und vergleiche sie insgeheim mit der des Jungen. Er blickt mich eine Weile an, ohne zu lächeln, so als könnte er meine Gedanken lesen, dann wendet er seinen Blick wieder dem See zu. Nein, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es seine Stimme war. Sie könnte Tausenden von Leuten aus dem Lake-Sektor gehören.
    Mir fällt ein, dass das Mikrofon in meiner Wange noch immer ausgeschaltet ist. Thomas muss mittlerweile stinksauer auf mich sein. »Tess, ich gehe ein bisschen ans Wasser runter. Ich bin in einer Minute wieder da.«
    »Bist du sicher, dass du das alleine schaffst?«
    »Ich komme schon klar.« Ich lächele. »Aber falls du mich bewusstlos aufs Meer hinaustreiben siehst, darfst du mich natürlich gern retten.«
    Die Treppe, die an der alten Bibliothek hinunterführt, war ganz offensichtlich mal Teil eines Treppenhauses, jetzt aber hängt sie im Freien. Ich rappele mich auf und humpele hinunter, eine Stufe nach der anderen, konzentriert darauf, nicht auszurutschen und ins Wasser zu stürzen. Was auch immer Tess gestern Abend mit mir angestellt hat, es scheint zu wirken. Die Wunde in meiner Seite brennt zwar noch immer, aber der Schmerz ist ein bisschen dumpfer und das Laufen bereitet mir weniger Mühe als gestern. Schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, nähere ich mich dem unteren Teil des Gebäudes. Tess hat in mir Erinnerungen an Metias wachgerufen, daran, wie er mich am Tag seiner Aufnahmefeier gepflegt hat.
    Aber an Metias zu denken, kann ich gerade nicht ertragen. Ich räuspere mich und konzentriere mich auf meinen Weg hinunter ans Wasser.
    Die Sonne, die sich im Osten erhebt, steht nun hoch genug und taucht den gesamten See in trübes Gold. In der Ferne sehe ich den schmalen Streifen Land, der ihn vom Pazifik trennt. Ich gehe hinunter bis zum letzten Stockwerk, das noch knapp über dem Wasserspiegel liegt. Auf dieser Etage sind alle Wände eingestürzt und so kann ich ungehindert bis an den Rand des Fußbodens gehen und die Beine ins Wasser halten. Als ich in die Tiefe blicke, sehe ich, dass die alte Bibliothek noch viele Stockwerke weiter hinunterreicht. (Wahrscheinlich war sie einmal circa fünfzehn Etagen hoch, gemessen daran, wie die anderen Gebäude an der Küste gebaut sind und das Land zur Küste hin abfällt. Ich schätze, dass ungefähr sechs Stockwerke unter Wasser stehen.)
    Tess und der Junge sind ganz oben, viele Etagen über mir und sicher außer Hörweite. Ich blicke zum Horizont, schnalze mit der Zunge und schalte mein Mikrofon ein.
    Aus meinem In-Ear-Kopfhörer dringt statisches Rauschen. Eine Sekunde später höre ich eine vertraute Stimme. »Ms Iparis?«, fragt Thomas. »Sind Sie das?«
    »Ja«, erwidere ich. »Es geht mir gut.«
    »Würden Sie mir bitte sagen, was Sie die ganze Zeit getrieben haben, Ms Iparis? Seit vierundzwanzig Stunden versuche ich jetzt, Sie zu kontaktieren. Ich war schon kurz davor, ein paar Soldaten loszuschicken, um Sie zurückzuholen - und wir wissen beide, wie glücklich Commander Jameson darüber wäre.«
    »Es geht mir gut«, sage ich noch einmal. Meine Hand verschwindet in meiner Tasche und zieht Days Anhänger hervor. »Bin bei einem Skiz-Kampf leicht verletzt worden. Nichts Ernstes.«
    Am anderen Ende ertönt ein Seufzer. »So lange

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