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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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was mit mir passiert ist. Er denkt, er hätte besser auf mich aufpassen müssen. Mir beim Lernen helfen müssen. Irgendetwas tun müssen.
    Wenn es mir gelingen sollte zu fliehen, hätte ich noch Zeit, sie zu retten. Meine Arme sind in Ordnung. Und ich habe immer noch ein unverletztes Bein. Ich könnte es schaffen ... wenn ich nur wüsste, wo sie sind.
    In stetigem Wechsel verblasst die Welt vor meinen Augen und kehrt wieder zurück. Mein Kopf sackt auf das Betonpodest und meine Arme liegen reglos in den Ketten. Erinnerungen an meinen Großen Test flackern vor mir auf.
    Das Stadion. Die anderen Kinder. Die Soldaten, die alle Ein- und Ausgänge bewachen. Die Samtkordeln, die uns von den Kindern aus den reichen Familien trennten.
    Der physische Teil. Die schriftliche Prüfung. Die mündliche.
    Vor allem die mündliche Prüfung. Ich erinnere mich an das Gremium, das mich befragt hat - eine Gruppe von sechs Psychiatern und den Funktionär, der den Vorsitz hatte, ein Mann namens Chian mit einer Uniformbrust voller Orden. Er hat mir die meisten Fragen gestellt.
    »Wie geht das Nationalgelöbnis der Republik? Gut, sehr gut. Hier in deinem Schulgutachten steht, dass du Geschichte magst. In welchem Jahr wurde die Republik offiziell gegründet? Was machst du sonst noch gern in der Schule? Lesen ... ah ja, sehr schön. Einer deiner Lehrer hat vermerkt, dass du dich einmal in den verbotenen Bereich der Bibliothek geschlichen und nach alten Militärtexten gesucht hast. Kannst du mir sagen, warum du das gemacht hast? Was denkst du über unseren ehrwürdigen Elektor? Ja, er ist wirklich ein großartiger Mann und ein guter Herrscher. Aber so darfst du niemals von ihm sprechen, mein Junge. Er ist kein normaler Mensch, so wie du und ich. Die korrekte Anrede lautet ›unser ruhmreicher Vater‹. Ja, deine Entschuldigung ist angenommen.«
    Seine Fragen schienen kein Ende zu nehmen, Dutzende und Aberdutzende, eine kniffeliger als die andere, bis ich noch nicht mal mehr darüber nachdenken konnte, was ich da sagte, während ich antwortete. Chian schrieb die ganze Zeit Anmerkungen in mein Prüfungsprotokoll, während einer seiner Assistenten das Gespräch mit einem winzigen Aufnahmegerät aufzeichnete.
    Ich dachte, ich hätte gute Antworten gegeben. Zumindest hatte ich darauf geachtet, Dinge zu sagen, von denen ich meinte, sie würden ihm gefallen.
    Dann aber war ich plötzlich in diesem Zug und der Zug brachte uns ins Versuchslabor.
    Die Erinnerung lässt mich erschaudern, obwohl die Sonne noch immer auf mich herunterbrennt und meine Haut röstet, dass es wehtut. Ich muss Eden retten, sage ich wieder und wieder zu mir selbst. Er wird bald zehn ... in einem Monat. Wenn er sich von der Seuche erholt, wird er den Test machen müssen ...
    Mein verletztes Bein fühlt sich an, als könnte es jeden Moment seinen Verband sprengen und so dick anschwellen, bis es das ganze Dach ausfüllt.
    Stunden vergehen. Ich verliere jedes Zeitgefühl. Soldaten kommen und gehen mit jedem Schichtwechsel. Die Sonne wandert über den Himmel.
    Dann, als die Sonne endlich barmherzig zu sinken beginnt, sehe ich, wie jemand aus dem Aufzug steigt und auf mich zukommt.

JUNE
    Ich erkenne Day kaum wieder, obwohl seit der Urteilsverkündung gerade einmal sieben Stunden vergangen sind. Er liegt zusammengesunken in der Mitte des Republiksymbols. Seine Haut wirkt dunkler und das Haar klebt ihm schweißnass am Kopf. Eine Strähne ist noch immer mit getrocknetem Blut verkrustet, als hätte er sie absichtlich so gefärbt. Sie sieht jetzt fast schwarz aus. Als ich mich ihm langsam nähere, dreht er den Kopf in meine Richtung. Ich bin nicht sicher, ob er mich sehen kann, denn die Sonne ist noch nicht ganz untergegangen und blendet ihn wahrscheinlich.
    Noch ein Wunderkind - und zwar kein alltägliches. Ich habe schon vorher Kinder mit außergewöhnlichen Begabungen kennengelernt, aber noch nie eins, das die Republik geheim gehalten hat. Und schon gar nicht eins, das die volle Punktzahl erreicht hat.
    Einer der Soldaten, die rings um das kreisförmige Podest postiert sind, salutiert vor mir. Er ist schweißüberströmt und sein Helm schützt sein Gesicht nicht vor der Sonne. »Agent Iparis«, sagt er. (Seinem Akzent nach stammt er aus dem Ruby-Sektor und die Knopfreihe seiner Uniform ist frisch poliert. Scheint auf Details zu achten.)
    Ich werfe kurz einen Blick auf die anderen Soldaten, bevor ich mich ihm wieder zuwende. »Im Moment brauche ich Sie hier nicht. Bringen Sie Ihre

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