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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Lu
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hebe den Kopf und blicke in die Menge.
    »... wird jedoch live in der gesamten Stadt übertragen. Die Bürger sind zu äußerster Wachsamkeit gegenüber jeder Form von krimineller Aktivität vor oder nach dem Ereignis aufgerufen und verpflichtet ...«
    Sie wollen an mir ein Exempel statuieren.
    »... jede Art von verdächtigem Verhalten umgehend einer Polizeistreife oder auf der nächsten Polizeiwache zu melden. Die Urteilsverkündung ist hiermit beendet.« Der Richter tritt vom Rednerpult zurück.
    Die Menge drückt sich weiterhin gegen die Soldaten. Die Leute schreien, applaudieren, buhen. Ich fühle, wie ich wieder auf die Füße gezerrt werde. Bevor sie mich zurück ins Innere der Batalla-Zentrale schleifen, wird mir bewusst, dass mich das Mädchen anstarrt. Ihre Miene wirkt ausdruckslos, doch in ihren Augen meine ich eine Regung zu erkennen. Eine Emotion, die nur ganz kurz aufflackert und sofort wieder verschwunden ist. Ich sollte dich hassen für das, was du getan hast, denke ich. Aber irgendetwas in ihrem Blick, der nun auf mir ruht, hindert mich daran.

    Nach der Urteilsverkündung lässt Commander Jameson mich nicht zurück in meine Zelle bringen. Stattdessen steigen wir in einen Aufzug, der von riesigen Ketten und Zahnrädern bewegt wird, und fahren ein Stockwerk nach oben, dann noch eins und noch eins. Schließlich landen wir auf dem Dach der Batalla-Zentrale, in zwölf Stockwerken Höhe, wo uns keine Schatten von umliegenden Gebäuden vor der Sonne schützen.
    Gefolgt von ihren Soldaten, marschiert Commander Jameson in die Mitte des Dachs auf ein flaches, rundes Podest zu, in das das Republiksymbol eingelassen ist und an dessen Rand schwere Eisenketten befestigt sind. Das Mädchen bildet das Schlusslicht. Ich kann noch immer ihren Blick in meinem Rücken spüren. Als wir in der Mitte des Betonpodests ankommen, befehlen die Soldaten mir, stehen zu bleiben, während sie meine Hand- und Fußfesseln mit den Ketten verbinden.
    »Er soll zwei Tage hier oben bleiben«, ordnet Commander Jameson an. Das grelle Sonnenlicht lässt bereits jetzt die Welt vor meinen Augen verschwimmen und alles wirkt wie mit einem Schleier aus funkelnden Diamanten überzogen. Die Soldaten lassen mich los. Unter Kettengeklirr sacke ich zu Boden und lande auf meinen Händen und dem unverletzten Knie. »Agent Iparis, Sie übernehmen die Verantwortung. Sehen Sie hin und wieder nach ihm und sorgen Sie dafür, dass er nicht vor seinem Hinrichtungstermin stirbt.«
    »Ja, Ma’am«, ruft das Mädchen.
    »Er bekommt einen Becher Wasser am Tag. Und eine Essensration.« Der Commander lächelt und zieht sich die Handschuhe zurecht. »Wenn Sie möchten, seien Sie ruhig ein bisschen kreativ bei der Nahrungsübergabe. Ich wette, Ihnen fällt etwas Schönes ein, um ihn betteln zu lassen.«
    »Ja, Ma’am.«
    »Gut.« Commander Jameson wendet sich ein letztes Mal an mich. »Sieht so aus, als würden Sie sich endlich benehmen. Besser spät als nie.« Dann marschiert sie davon und verschwindet zusammen mit dem Mädchen im Aufzug. Die restlichen Soldaten lässt sie Wache stehen.
    Der Nachmittag verläuft ruhig.
    Ich döse immer wieder ein. Mein verletztes Bein pocht im Rhythmus meines Herzens, mal schnell, mal langsam und manchmal so heftig, dass ich fürchte, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Jedes Mal, wenn ich die Lippen bewege, springen sie ein bisschen mehr auf. Ich denke darüber nach, wo Eden wohl sein mag - in irgendeinem Labor oder einer Krankenstation in der Batalla-Zentrale oder sogar im Zug auf dem Weg an die Front. Sie werden ihn am Leben lassen, da bin ich mir sicher. Die Republik wird ihn nicht töten, bevor die Seuche es tut.
    Aber John. Über das, was sie mit ihm gemacht haben, kann ich bloß spekulieren. Vielleicht lassen sie ihn am Leben, für den Fall, dass sie noch mehr Informationen aus mir herauspressen wollen. Vielleicht werden wir auch beide gleichzeitig hingerichtet. Oder er ist schon tot. Ein neuer Schmerz flammt in meiner Brust auf. Ich denke an den Tag meines Großen Tests, als John kam, um mich abzuholen, und mit ansehen musste, wie ich zusammen mit ein paar anderen Kindern, die ebenfalls durchgefallen waren, in den Zug gescheucht wurde. Nachdem ich aus dem Versuchslabor geflohen war und anfing, meine Familie aus der Ferne zu beobachten, sah ich manchmal, wie John an unserem Esstisch saß, den Kopf in den Händen vergraben, und weinte. Er hat es mir gegenüber nie erwähnt, aber ich glaube, er gibt sich die Schuld an dem,

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