Legende der Angst
in die Arme genommen, er hat mich geküßt – und wir waren auch weiter miteinander im Bett, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren. Aber er war nicht bei mir. Er war einfach nicht da.«
»Ja, und?« warf Angela ein. »Er hatte das Interesse an dir verloren. Es tut mir leid, Mary, aber so etwas passiert auch immer wieder. Das bedeutet noch lange nicht, daß er plötzlich zu einem Monster geworden wäre.«
Mary sah sie ungeduldig an. »Ich sage dir, er war anders, und ich weiß, wovon ich rede, weil ich ihn nämlich gut gekannt habe. Er war nicht bei der Sache, wenn wir zusammen waren.«
»Und wo war er?« fragte Angela.
»Weg.«
Angela schüttelte den Kopf. »Ich habe immer noch keine Ahnung, wovon du eigentlich redest. Wenn er sich dir gegenüber so gleichgültig verhalten hat, warum hast du dir dann die Mühe gemacht ihn beim Training zu beobachten?«
»Gute Frage. Ich glaube, ich bin hingegangen, weil ich den Beweis dafür haben wollte, daß er sich verändert hat.«
»Mary.«
»Laß mich weitererzählen. Einmal – ich glaube, es ist zwei Wochen her –, da war ich nur für ein paar Minuten beim Training. Ich hatte meine Tasche dort vergessen und mußte zurück, um sie zu holen. Als ich dort ankam, war keiner der Jungs mehr auf dem Spielfeld, und von den Cheerleadern schien auch keiner mehr da zu sein. Ich habe bemerkt, daß die Tür zum Kraftraum offenstand und bin darauf zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon keine Hoffnung mehr, daß das mit Jim und mir wieder in Ordnung kommen würde. Ich habe den Kraftraum nicht betreten, ich habe nur hineingespäht, ganz vorsichtig. Ja, ich wollte wohl auf irgend etwas Ungewöhnliches stoßen. Und genau das ist dann ja auch passiert.«
»Und was hast du gesehen?« wollte Angela wissen.
»Kathy und Todd und Jim waren da drinnen. Sie waren allein und haben Gewichte gestemmt. Hast du jemals einen Cheerleader Gewichte stemmen sehen? Ich nicht, aber ich denke, daß diese Tatsache allein noch nicht einmal so bemerkenswert ist. Doch die gute, alte Kathy – sie hat nicht nur einfach mit ein paar Kilo trainiert, um ihre Arme in Form zu bringen. Ich habe gesehen, wie sie mindestens fünfhundert Kilo bis weit über ihren Kopf gehoben hat.«
»Das ist unmöglich«, sagte Angela.
»Ich weiß. Aber ich habe gesehen, wie sie es getan hat.«
»Du mußt dich geirrt haben, was die Gewichte auf der Stange betrifft.«
»Nein. Tatsächlich hat sich die Stange, die sie benutzt hat durchgebogen, nachdem sie sie hochgestemmt hatte, soviel war an Gewichten aufgelegt. Was schätzt du, wieviel Kilo nötig sind, damit sich die Stange unter dem Gewicht durchbiegt? Ein starkes Mädchen, diese Kathy.«
»Haben Jim und Todd genausoviel gestemmt?«
»Das konnte ich nicht beurteilen. Sie haben an Kraftmaschinen gearbeitet. Aber es hatte den Anschein, daß sie die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Maschinen erreichten, ohne dabei auch nur ins Schwitzen zu geraten. Und da war auch noch etwas anderes: Als Kathy ihm unglaublichen Übungen machte, schienen die anderen beiden das nicht einmal zu bemerken. Die ganze Zeit über, als ich dort gestanden habe, habe ich sie kein einziges Wort sagen hören. Da drin herrschte eine Kälte wie in einem Leichenschauhaus.«
Angela dachte über all das nach. »War da noch mehr?«
»Ja.« Mary beugte sich vor und stützte sich auf den Tisch. Sie hatte zu erzählen begonnen, ohne wirklich darauf zu hoffen, Angela überzeugen zu können. Aber jetzt war das anders. Jetzt war offensichtlich, daß sie Angela davon überzeugen wollte, daß ihre Geschichte nicht erfunden war. »Nach dem Zwischenfall im Kraftraum habe ich angefangen, hinter ihnen herzuspionieren. Ich fand heraus, daß sie ziemlich viel Zeit miteinander verbrachten. Sie standen oft allein zusammen und haben geredet. Mir fiel auch auf, daß keiner von ihnen je lächelte, es sei denn, jemand anders stieß zu ihnen. Ich bin gar nicht mehr mit Jim aus gewesen, aber ich bin oft nachts zu seinem Haus gefahren und habe den Wagen ein Stück die Straße hinunter geparkt – und gewartet.«
»Worauf?« fragte Angela.
»Darauf, daß er herauskam und mit seinen seltsamen Freunden der Nacht spielte.«
»Du redest, als wären sie Vampire.«
Marys Augen wurden eine Spur dunkler. »Sie waren schlimmer als Vampire. Eines Nachts habe ich draußen vor Jims Haus gewartet – es war nach Mitternacht –, und er kam heraus und ist mit seinem Wagen weggefahren. Ich bin ihm gefolgt, als er Todd und Kathy
Weitere Kostenlose Bücher