Legende der Angst
bereitete Mary Schwierigkeiten zu atmen. »Entsetzliche Dinge.«
»Erzähl’s mir.«
Langsam hob Mary den Kopf. »Du würdest mir nicht glauben«, wiederholte sie ein drittes Mal.
»Gib mir eine Chance. Bitte. Ich werde dir glauben.«
Mary kaute auf ihrer Unterlippe. Sie dachte nach, und ihr Blick dabei wirkte abwesend.
»Todd und Kathy«, sagte sie, »waren keine menschlichen Wesen mehr. Deshalb habe ich sie erschossen.«
»Du meinst, sie haben etwas Unmenschliches getan? Haben sie jemanden gequält?«
»Was ich meine, ist, daß sie nicht länger so waren wie du und ich.«
Angela hatte nicht die geringste Ahnung, wovon sie redete. »Wie oder was waren sie dann?«
Marys Unterlippe bebte. »Sie waren Monster.«
»Mary?«
Mary lächelte, ihr Gesicht zu einer grotesken Maske verzerrt.
»Ich hab’s dir gesagt.«
»Nein. Erzähl mir mehr. Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Mary lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah Angela an. »Du willst, daß ich ganz von vorne anfange?«
»Ja.«
»Es wird reine Zeitverschwendung sein.«
»Ich habe eine ganze Menge Zeit zu verschwenden.«
Für einen Moment schloß Mary die Augen. Als sie sie wieder öffnete und anfing zu sprechen, klang ihre Stimme anders. Mary redete leise und klar, als erzähle sie von einer wirklich tragischen Begebenheit.
»Du weißt, wie die Cheerleader und Footballspieler, bevor es Anfang September mit der Schule losgeht, trainieren«, sagte sie. »Sie treffen sich und gehen ihre Übungen und Spielzüge durch. Sie machen das jedes Jahr. Nun, und du weißt auch, daß ich in diesem Jahr mit Jim gegangen bin. Manchmal, wenn ich Langeweile hatte, bin ich morgens zur Schule rübergefahren und habe den Jungs beim Training zugesehen. Und die Mädchen habe ich auch hin und wieder beobachtet.« Mary zuckte mit den Schultern. »Irgendwann habe ich angefangen, Verdacht zu schöpfen.«
»Welchen Verdacht?« fragte Angela.
Mary runzelte die Stirn, wie in Erinnerung an die Verwirrung, die sie damals empfunden hatte. »Ich habe den Jungs zugeschaut, und mir ist aufgefallen, um wie vieles Jim und Todd besser waren als die anderen. Ich meine, es war irgendwie unnatürlich. Die beiden waren immer schon tolle Spieler. Was mich stutzig machte, war, daß sie auf einmal viel zu gut waren. Todd war Linebacker, Jim Quarterback. Wenn Jim Todd den Ball zuwarf, war der von keinem mehr zu stoppen. Todd machte sich nicht mal die Mühe, seinen Gegenspielern auszuweichen. Er mähte einfach jeden nieder, der sich ihm in den Weg stellte. Die anderen prallten von ihm ab, als sei er aus Stahl. Und wenn Jim einen Paß warf, war der Wurf so sauber und hart, daß der Ball kaum zu sehen war. Wenn einer dieser Pässe den Fänger unglücklich traf, knickte dieser zusammen, als sei er angeschossen worden. Diese Pässe waren gefährlich, ich meine, wirklich gefährlich. Die Trainer hielten sie für großartig, aber ich habe Jungs gesehen, die vom Spielfeld getaumelt sind und die sich dabei den Bauch gehalten, den Kopf geschüttelt und sich geweigert haben, den Rasen wieder zu betreten.«
»So etwas kommt doch bei jedem Footballtraining vor«, entgegnete Angela.
Mary ignorierte ihre Bemerkung. »Und dann waren da die Mädchen. Kathy war die Anführerin der Cheerleader. Ich hab’ den Haufen üben sehen, und sie haben irgendeine Pyramide gemacht. Und Kathy ist dann von links gekommen und ganz nach oben auf die Pyramide gesprungen. Als wäre es nichts, sprang sie drei Meter hoch, einfach so vom Boden aus.«
»Das ist unmöglich.«
Umgerührt fuhr Mary fort: »Ich habe angefangen, die drei zu beobachten: Jim, Todd, Kathy. Du denkst vielleicht, daß das verrückt gewesen ist. Immerhin bin ich doch mit Jim gegangen. Ich mußte ihn nicht heimlich beobachten, schließlich habe ich ihn doch immer gesehen. Aber die Wahrheit war, daß ich mich nicht mehr so oft mit ihm getroffen habe. Er hat mich nicht mehr so oft angerufen wie vorher, und wenn ich mit ihm zusammen war, war er ziemlich zurückhaltend. Aber das war noch nicht alles, was anders war. Er hatte sich auf eine Art und Weise verändert, die ich nicht benennen konnte. Er hat über die gleichen Sachen geredet wie ich, das schon, aber sicher kennst du das Gefühl, jemandem zuzuhören, der über etwas redet wovon er nicht wirklich überzeugt ist. Oder was ihn im Grunde gar nicht interessiert.«
»Ja, das kenne ich.«
»Ich hatte das Gefühl, daß Jim einfach Worte hervorsprudelte, weil das von ihm erwartet wurde. Er hat mich
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