Legende der Angst
Tankfüllungen. Dann würde sie genug haben.
Rachegelüste trieben sie an, weiterzumachen, doch sie empfand auch eine schreckliche Angst, wenn sie an den Abend dachte. Es stand viel auf dem Spiel – wieviel genau, darüber wollte sie sich lieber keine Gedanken machen. Der Tod der ganzen Stadt? Das Ende der gesamten Menschheit? Herr im Himmel! Es gab ein Dutzend Dinge, die schiefgehen konnten. Als sie nach Point zurückfuhr, beschloß sie, daß sie, sollte es so aussehen, als ob einer von ihnen entkam, die Sache mit der Lunte vergessen und das Benzin sofort anzünden würde. Und selbst als erste in die Luft gehen. Kevin würde ihr einfach verzeihen müssen. Sie wußte, wie sehr er sie vermissen würde. Sie dachte viel über ihn nach, als sie mit ihrer Arbeit weitermachte, über ihn und auch über Mary. Sie beide waren großartig – Angela konnte sich glücklich schätzen, sie kennengelernt zu haben. Sie wünschte, Kevin aufsuchen und um Hilfe bitten zu können, aber sie durfte ihn nicht auch noch in Gefahr bringen. Er würde ihr niemals glauben, und das würde für ihn nur tödlich enden.
Angela tankte bei der nächstgelegenen Tankstelle. Vor dem Haus ihres Großvaters legte sie Steine so vor das linke Hinter- und das Vorderrad, daß sie darauffahren konnte und der Wagen auf der einen Seite aufgebockt war. So war der Ablaßstutzen des Tanks leicht zu erreichen, und sie konnte einen der Kanister gleich darunterschieben. Dann fiel ihr etwas ein: Wenn sie erst den Verschluß des Abflußstutzens entfernt hatte, wie sollte sie dann den Benzinfluß stoppen, bis sie den nächsten Kanister in Position gebracht hatte? Auf keinen Fall durfte nämlich so nah am Haus Benzin auslaufen! Sie wälzte die knifflige Frage einige Minuten lang und kam dann auf die Lösung.
Diese sah so aus: Sie öffnete den Verschluß nur ganz langsam. Benzin quoll über den Rand der Kappe. Angela drehte noch ein kleines bißchen weiter auf. Es ist besser, hier und jetzt Ruhe und Geduld zu wahren, schärfte sie sich ein. Das Benzin tropfte in ihren Trichter und füllte den Kanister allmählich. Angela brauchte fünf Minuten, um die ersten zwanzig Liter umzufüllen. Als sie nach dem zweiten Kanister griff, drehte sie die Verschlußkappe wieder zu. Nur wenige Tropfen gingen bei der Prozedur daneben. Sie müssen schon die Nase von Wölfen haben, um den Hauch wahrzunehmen, dachte sie.
Es war schon komisch, aber in diesem Moment fragte sich Angela zum erstenmal, wie sie wohl heißen würden, wenn ihnen jemand im zwanzigsten Jahrhundert einen Namen geben würde. Sie wollten Menschenfleisch, und am liebsten verschlangen sie ihre Opfer bei lebendigem Leibe – das machte sie zu Ghulen oder Zombies. In gewissem Sinne waren sie nicht von dieser Welt – das machte sie zu Außerirdischen, zu Aliens. Aber sie liebten das Menschenblut – sie liebte Menschenblut, um Himmels willen –, und wenn die Mythen und ihre Alpträume die Wahrheit spiegelten, verwandelten sie sich in fledermausähnliche Wesen.
»Ja«, sagte sie laut, als sie überlegte, was noch zu tun war, »sie sind Vampire. Zu dumm, daß sie schon hier waren, bevor es im Haus Kreuze oder Knoblauch gegeben hat, sonst könnte ich die Sache mit der Bombe vergessen und losziehen, mir beides zu besorgen.«
Angela füllte fast drei Kanister – sie beließ genug Benzin im Tank, um auf die andere Seite des Sees zur nächsten Tankstelle zu gelangen. Die ganze Zeit über behielt sie den Rückspiegel im Auge, um zu sehen, ob Nguyen ihr folgte. Sie bezweifelte jedoch, daß er es tat. Was er in Marys Hütte erblickt hatte, hatte ihm angst gemacht – es war ein Anblick gewesen, der jeden normalen Menschen für einige Zeit in eine Nervenheilanstalt gebracht hätte. Und was sie mit ihm gemacht hatte, bevor sie in ihren Wagen gestiegen und losgefahren war, schien seinen Verstand für eine Weile so funktionieren zu lassen, wie sie es wollte. Ihr wurde klar, daß Jim die gleiche Macht bei ihr eingesetzt hatte, als sie sich die ersten Male getroffen hatten. Es war ihr lieber zu glauben, daß sie ihm in jener ersten Nacht nicht so nah gekommen wäre, wenn nicht irgendeine Art übernatürliche Beeinflussung im Spiel gewesen wäre. Gottverdammter Blutsauger. Wieso zum Teufel gab es kein Verhütungsmittel zu kaufen, um Mädchen wie sie vor Jungen wie ihm zu beschützen?
Wer weiß, vielleicht wird man ein solches Mittel bald kaufen können. Vielleicht wird dies sogar der zukünftige Renner auf dem Verhütungsmittelmarkt
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