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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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sein Leben noch vor sich hatte. Vielleicht würde er einhunderttausend Jahre alt werden; sie hatte keine Ahnung. Vielleicht würde er bis dahin riesige, ledrige Flügel und violette Krallen haben. Seine Fingernägel waren schon jetzt so schwarz wie Tinte. Er hielt den Zettel in der Hand, den ihr Großvater ihr am vergangenen Morgen dagelassen hatte. Als Jim ihn ihr jetzt reichte, fragte sie sich plötzlich, warum die Nachricht darauf mit der Maschine getippt war.
    »Ich habe das hier geschrieben«, sagte Jim.
    Sie starrte auf die geschlossene Tür zum Zimmer ihres Großvaters. Er schloß niemals die Tür, wenn er wegging. Er lachte immer und sagte, daß jemand seines Alters nichts mehr zu verbergen habe. Jim hatte ihn möglicherweise gleich am Abend ihrer ersten Verabredung verschlungen. War ins Haus zurückgeschlichen und hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, seiner schlafenden Schönen einen Kuß zu geben.
    »Ich verstehe«, flüsterte sie. Ihre Unterlippe bebte, sie biß darauf und schmeckte Blut. Jim legte ihr eine Hand auf die Schulter. Hätte eine riesige Krabbe sie in die Zangen genommen, hätte sie das wohl kaum als unangenehmer empfunden.
    »Mary ist tot«, sagte er.
    »Ja.«
    »Du bist jetzt eine von uns.«
    »Ich verstehe.«
    »Wir sind viele.«
    Sie sah auf. »Ich würde gern alle kennenlernen.«
    »Wann immer du willst.«
    »Heute abend würde es mir passen.« Sie zwang sich zu lächeln. »Ich würde gern für alle von uns hier eine Party veranstalten.«

 
    11. Kapitel
     
     
     
    Angela war allein im Haus und saß am Bett ihres Großvaters. Es war drei nachmittags. Jim war wenige Minuten zuvor gegangen. Die Party sollte um acht beginnen. Sie würde sie nicht eher anfangen lassen können, weil sie noch einige Dinge erledigen mußte, bevor sie ihre Gäste empfangen konnte. Es waren Vorbereitungen, die auf jeden Fall getroffen werden mußten. Jim hatte nichts saubergemacht, nachdem er ihren Großvater umgebracht hatte. Das, was von dem Vater ihres Vaters übrig war, bot keinen angenehmen Anblick. Es war verwunderlich, daß sie den Geruch, der das Zimmer erfüllte, nicht früher wahrgenommen hatte. Allerdings hatte Jim Laken unter die Tür gestopft, um zu verhindern, daß sich der Gestank im ganzen Haus ausbreitete. Sie schauderte, als sie sich vorzustellen versuchte, was passiert wäre, wenn Kevin in das Zimmer ihres Großvaters gespäht hätte, als er am vergangenen Tag morgens im Haus gewesen war. Süßer Kevin – sie fragte sich, ob sie ihn wohl je wiedersehen würde.
    Eine Träne rollte ihr die Wange hinunter, darauf folgte ein Schniefen, dann eine weitere Träne. Sie hatte ihren Großvater nicht gut gekannt, aber das wenige, das sie kennengelernt hatte, hatte sie geliebt. Er war der einzige gewesen, dessen Tür für sie offen gewesen war, als die Dinge bei ihr zu Hause schiefgelaufen waren. Er hatte sich darüber gefreut, daß sie bei ihm eingezogen war. Sie erinnerte sich an den Tag, als er sie am Flughafen abgeholt hatte, seine neueste Eroberung am Arm. Sie hatte angenommen, das weibliche Wesen an seiner Seite sei eine weiter entfernte Verwandte, eine Kusine zweiten Grades von ihr oder etwas Ähnliches. Sie hatte seine Art zu lieben geliebt, so voller Leben, so frei, so vollkommen vorurteilslos.
    Was aber wußten sie schon von Liebe? Sie konnte ihren Hunger nicht stillen; also war Liebe für sie überflüssig. Die Existenz von Jim und seinesgleichen erschien ihr so unglaublich eindimensional. Und da sich in ihrem Dasein alles auf eins beschränkte, bezweifelte sie, daß sie besonders clever waren. Jim hatte sie jedenfalls ziemlich einfach täuschen können. Er dachte, sie sei eine von ihnen, nur weil sie versucht hatte, ihren eigenen Hund zu essen. Ihre Vorlieben in Sachen Ernährung hatten sich eindeutig ein wenig gewandelt. Daß Jim genau zur rechten Zeit gekommen war, war reines Glück gewesen. Er hatte sie bei dem Schlimmsten gesehen, das sie je getan hatte, und jetzt vertraute er ihr. Bald würde sie alle auf einmal zusammenhaben. Mary hatte eine solche Gelegenheit nie gehabt. Angela befürchtete, daß ihre Freundin die Zahl der Monster erheblich unterschätzt hatte.
    Angela hatte bereits beschlossen, das Haus in die Luft zu jagen, wenn alle darin versammelt sein würden. Da sie kein Dynamit hatte, würde sie sich mit etwas anderem begnügen müssen. Allerdings konnte sie sich nicht darauf verlassen, den Propangastank zum Explodieren zu bringen. Jim war mit dem Wagen dagegengefahren,

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