Legende der Angst
auf, und die ersten der Vampire drängten sich durch den Rahmen. Ihnen blieb gerade noch der Bruchteil einer Sekunde, um zu verstehen, daß ihr Anführer am Boden lag und es im Schrank brannte, bevor Angelas Ersatzbombe explodierte.
Angela erlebte die Detonation wie den Schlag der erbarmungslosen Hand eines Riesen, ein Schlag, der sie sprichwörtlich von den Beinen holte und in den Himmel fegte. Das Aufblitzen des grellen Lichts blendete sie sofort. Aber die Hand des Riesen konnte mehr als einmal zuschlagen. Eine zweite Druckwelle traf Angela, als sie noch über dem See schwebte. Im Hinterkopf registrierte sie, daß die Explosion in ihrem Schlafzimmer stark genug gewesen war, das ganze Haus zu durchdringen und die gewaltigere Bombe im Keller zu zünden.
Die ganzen hundert Liter waren in die Luft gegangen. Wow.
Dann wurde sie von einer dritten Druckwelle erfaßt, die die beiden vorangegangenen wie Spielerei erscheinen ließ. Sie war im Himmel, flog auf den Mond zu – irgendwohin, nur nicht in Richtung des Asteroidengürtels – und begriff doch immer noch, was geschehen war. Der Propangastank war explodiert. Niemand, dachte sie, nichts kann dies überlebt haben. Ihre Vermutung bestätigte sich, als Angela – oder vielmehr das, was von ihrem Bewußtsein und ihrem Körper noch übrig war – den höchsten Punkt ihrer Flugkurve erreichte und zu fallen begann. Sie fiel hinab in das kalte, schwarze Wasser, in dem alles begonnen hatte und in dem nun alles enden würde.
Lieutenant Nguyen war zweihundert Meter von Angela Warners Haus entfernt, als dieses explodierte. Zuerst flog das Dach in die Luft, dann schoß ein Geysir von irgendwo aus der Tiefe auf, und schließlich ging der weiße Tank neben dem Haus wie eine Atombombe hoch. Eine pilzförmige Feuerwolke reckte sich nach den Sternen. Nguyen brachte den Wagen sofort am Straßenrand zum Stehen. Er glaubte, für einen Moment eine brennende Gestalt gesehen zu haben, die wild um sich tretend und schreiend über den See geflogen war. Er schloß kurz die Augen, und als er sie wieder öffnete, war da nichts mehr, und er hatte auch nichts auf dem Wasser aufklatschen hören. Hatte er sich nur eingebildet, jemanden gesehen zu haben?
Nguyen stieg aus dem Wagen, stand in einer plötzlich warmen Nacht und sah zu, wie das Haus brannte. Er griff nicht nach seinem Funkgerät, um Hilfe zu rufen. Er nahm an, daß ohnehin jeder in der Stadt die Explosion gehört hatte. Außerdem wollte er, daß das Haus so lange wie möglich brannte. Wenn Menschen darin waren, dann wollte er, daß sie zu Asche verbrannten, denn das mußte es gewesen sein, was Angela gewollt hatte. Er wußte, daß sie ihnen ein Ende gesetzt hatte, und wenn ihm auch immer noch nicht klar war, um wen oder was es sich bei ihnen eigentlich gehandelt hatte, so wußte er doch, daß sie grauenvoll gewesen waren.
Im gelbroten Lichtschein des Feuers senkte Nguyen den Kopf und schickte Mary Blanc und Angela Warner stumm einen letzten ehrerbietenden Gruß.
Epilog
Drei Monate später
Lieutenant Nguyen ging am Ufer des Point Lake entlang, ganz in der Nähe der Stelle, an der Angela Warners Haus gestanden hatte. Obwohl es lange vor Beginn des Winters abgebrannt war und es inzwischen geschneit hatte, waren immer noch Hinweise auf eine grauenvolle Nacht zu entdecken. Der Schnee bedeckte das meiste von dem, was an verkohltem Holz übriggeblieben war, aber das schwarze Skelett eines der dickeren Balken stand senkrecht da, mit einer Haube weißen Schnees gekrönt. Ein paar Bretter des Balkons balancierten gefährlich auf Stelzen aus zersplittertem Holz und würden dem nächsten stärkeren Windstoß nicht mehr standhalten.
Nguyen unternahm erst gar keinen Versuch, bis dicht an das Haus zu gelangen. Es war vielleicht ein Ort des Triumphes – er glaubte dies immer noch –, doch es barg auch unangenehme Erinnerungen für ihn. Er war dabei gewesen, als die Leichen von zweiunddreißig Schülern der Point High aus den Trümmern geborgen worden waren. Natürlich hatten sie zum Zeitpunkt der Bergungsarbeiten noch nicht gewußt, daß sich zweiunddreißig Leute im Haus aufgehalten hatten, als es in die Luft gegangen war. Nicht einer, der Leichen war in einem Stück gewesen.
Aber es gab auf dieser Welt für jede Arbeit Experten, und vielleicht hatte auch Kane, der Leichenbestatter, seine Dienste beigesteuert. Auf jeden Fall hatte man die verkohlten Überreste eingesammelt und dann die Zahl der Opfer ermittelt und jedes
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