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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Pike
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zweite und betrat einen Raum, den sie wiedererkannte. Man nannte ihn Schlafzimmer, und es war das Zimmer eines Menschen namens Angela Warner. Sie kannte Angela – sie selbst war Angela. Sie war dieser Körper. Und es waren dieser Körper und die Sachen, in denen er steckte, die gewaschen werden mußten. Sie war allein in dem Zimmer, aber sie wußte, was zu tun war. Es hieß duschen, und den Ort, an dem man das tat, nannte man Dusche. Diese befand sich im Badezimmer, und das lag auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. Sie verstand all diese Dinge – halbwegs zumindest. Als erstes mußte das Blut verschwinden.
    Das Wasser lief warm über ihren Körper und erinnerte sie an Blut. Jetzt, in diesem Augenblick, brauchte sie kein Blut, doch später würde sie wieder welches brauchen.
    Das Bedürfnis danach würde immer vorhanden sein, und solange es Blut gab, würde das schmerzhafte Pochen nicht wiederkehren. Auf der Versammlung würde vielleicht besprochen werden, wo man Blut beschaffen konnte. Wenn sie sauber war, würde sie an der Versammlung teilnehmen.
    Das Wasser wusch das Blut ab. Als sie aus der Dusche trat, entdeckte sie etwas, das man Bademantel nannte. Angela Warner hätte nach dem Duschen einen Bademantel angezogen, also zog auch sie ihn an. Er war gelb, und ihr Haar war naß, wie sie im Spiegel sah. Da war kein Blut. Angela Warner hätte gelächelt, wenn sie in den Spiegel blickte, also lächelte auch sie. Als sie lächelte, wurden Zähne sichtbar, die sie benutzen würde, wenn sie das nächste Mal Blut brauchte.
    Auf der Ablage unter dem Spiegel stand etwas. Es hieß Bild. Sie nahm es in die Hand; ein Bild, auf dem Menschen zu sehen waren. Sie erkannte die Körper wieder: Angela Warner, Mary Blanc, Kevin Jacobs. Sie umarmten einander und lächelten. Sie waren – sie hatte Mühe, das Wort zu finden, aber schließlich fiel es ihr doch ein – glücklich. Glückliche Körper. Sie kannte das Wort, war sich jedoch nicht sicher, was es bedeutete. Sie glaubte, daß es hieß, daß das Pochen aufgehört hatte und es genug Blut gab. Sie kam zu dem Schluß, daß sie glücklich war. Glücklich und sauber.
    Da war noch etwas anderes auf der Ablage. Es war golden und sah aus wie ein KAtuu, dem der Kopf fehlte. Sie wußte, was ein KAtuu war. Sie war ein KAtuu. Sie war ein Teil der Welt. Mit der Zeit würde sich Angela Warners Körper wandeln und die Gestalt eines KAtuu annehmen.
    Wenn es genug Blut geben würde. Es war viel Blut nötig, man mußte oft töten, um sich ganz in einen KAtuu zu verwandeln. Sie wußte das. Es war ihr Schicksal.
    Sie wußte jedoch nicht, warum sie sich plötzlich die Kette mit dem Amulett über den Kopf streifte.
    Es konnte sein, daß ihr ein anderes Schicksal bestimmt war.
    Sogar jetzt noch – so spät.
    Ein machtvolles Beben ging durch ihren Körper. Ihr Denken, ihre Verbindung zu der Welt und all den KAtuu, die es gab und die es jemals gegeben hatte, wurden plötzlich in ihrem Wesen sichtbar gemacht. Ein geisterhaftes, rotes Band umschloß das Haus und all die KAtuu, die darin versammelt waren, es flatterte hoch in den Himmel hinauf und dann weit bis ins All hinein, wo die überlebenden Keimzellen der Welt für immer auf den zerrissenen Teilen des fünften Planeten durch die schwarze Unendlichkeit irrten. Sie sprachen zu ihr, und sie sprach zu ihnen. Sie wollten so sehr, daß sie ein Teil von ihnen war und daß sie den Strom des Blutes zu den Feinden trug, die die Welt zerstört hatten. Aber auch etwas anderes sprach zu ihr, eine Stimme, die nur dem Körper allein gehörte. Es war die Stimme der Gedanken von Angela Warner. Es war der Klang von Angelas Herz, das tief im Inneren ihres Körpers schlug; es pochte, doch dies war anders als der Schmerz in ihrem Kopf, wenn sie kein Blut bekommen konnte: In ihrem Herzen hämmerten feindliche Gefühle.
    Wer aber war der Feind?
    Wer war in wen eingedrungen?
    Sie sind in uns eingedrungen.
    In uns. Und wir sind Menschen.
    Das Rot des Bandes verfärbte sich zu einem häßlichen Violett und löste sich auf seinem schier endlos langen Weg zurück zur Fremden Welt allmählich auf. Plötzlich zerriß es, und Angela zog scharf den Atem ein.
    Ja, Angela Warner. Sie erinnerte sich daran, wer sie war, was sie war. Kein KAtuu, nicht einmal nach den Schreckenstaten, die sie begangen hatte. Sie war ein Mensch. Sie war nicht der Feind. Das waren die anderen. Sie waren böse.
    »Kevin«, flüsterte sie. Tränen stiegen ihr in die Augen; sie sah sie im Spiegel.

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