Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
einen Turmwächter war er jung, kaum über vierzig, und es war offensichtlich, dass er einmal gut aussehend gewesen war. Sein Haar, das er wie ein Dandy geflochten auf dem Rücken trug, war immer noch überwiegend flachsblond, auch wenn sich schon die ersten grauen Strähnen darin zeigten. Doch jeder Eindruck von jugendlicher Unerfahrenheit wurde durch die riesige Sammlung von glitzernden Ringen an seinen Händen aufgehoben. Wie beiläufig hielt er sie auf der Absperrung, die ihn von der freien Fläche trennte. Er trug auch Ketten, juwelenbesetzte Schmuckstücke, die fast so kunstvoll gearbeitet waren wie die von Meister Banage, und an seinen Handgelenken unter der Robe glitzerten Armbänder.
Banage sah ihn direkt an. »Bringt Eure Anklage vor, Spiritist Hern.«
Mit einem gnädigen Nicken stand Hern auf und wandte sich Miranda zu. Ihren bösen Blick erwiderte er mit einem warmen, selbstbewussten Lächeln.
»Meine Anklage ist unendlich ernst.« Seine glatte Stimme füllte mühelos den großen Raum. »Ich klage Miranda Lyonette an, sich in Verletzung ihrer Pflicht und ihrer Eide mit dem bekannten Kriminellen Eli Monpress verschworen zu haben, um in den Besitz des Geistes zu kommen, der als Mellinor bekannt ist; ein Großer Geist, der von dem gefürchteten Versklaver Gregorn überwältigt und gefangen gehalten wurde und seit vierhundert Jahren als vernichtet galt. Trotz ihrer Befehle, Monpress festzunehmen, hat Spiritistin Lyonette stattdessen mit dem Dieb zusammengearbeitet, um mit Drohungen und List Mellinor für sich zu gewinnen, der von seiner langen Versklavung und Gefangenschaft geschwächt und verwirrt war. Weiterhin hat Spiritistin Lyonette im Austausch für seine Hilfe Monpress Zeit für die Flucht verschafft, indem sie den Thronsaal von Mellinor zerstörte und auf diese Weise viele Leben in Gefahr brachte.«
Banage schenkte ihm einen kalten Blick. »Das ist Eure Anklage?«
Hern nickte. »In der Tat.«
»Und welche Strafe beantragt Ihr?«
Hern wandte sich wieder Miranda zu, und sein Lächeln verwandelte sich in ein bösartiges Grinsen. »Verbannung vom Geisterhof durch den Entzug von Ringen, Stellung und Privilegien, inklusive des Zugangs nach Zarin oder jeden anderen Rückzugsort, den der Geisterhof unterhält.«
In der Menge erhob sich lautes Murmeln. Miranda ließ das Geräusch über sich hinwegschwappen und sah starr geradeaus. Sie sagte sich selbst, dass sie damit gerechnet hatte, und trotzdem wurde ihr eiskalt, als sie die Worte tatsächlich hörte. Nachdem das Murmeln wieder verklungen war, lehnte Banage sich auf seinem hohen Stuhl vor, sah auf Miranda hinunter und sprach so sanft, wie es die Akustik des Raumes eben zuließ. »Wie beantwortet Ihr diese Anklage, Spiritistin Lyonette?«
Miranda sah ihm ein letztes Mal in die Augen, dann wagte sie den Sprung ins kalte Wasser.
»Ich bezeichne sie als Unsinn.« Ihre Stimme füllte den großen Raum. »Es ist wahr, dass ich nach Mellinor geschickt wurde, um Eli Monpress zu fangen. Doch als ich in Mellinor ankam, entdeckte ich ein viel größeres Verbrechen gegen die Geister als alles, wozu Monpress fähig wäre. Wie Ihr alle wissen solltet, nachdem ich die Vorgänge in meinem Bericht ausführlich erklärt habe, hatte sich Prinz Renaud, der dank der uralten Vorurteile Mellinors gegen Magier seinen Thronanspruch verloren hatte, der Versklavung zugewandt, um den Thron zurückzugewinnen. Er erweckte und versklavte einen Großen Geist, der ihm von seinem Vorfahren, dem Versklaver Gregorn, in Form des Artefakts hinterlassen wurde, das wir als Gregorns Pfeiler kennen; dasselbe Artefakt, dessentwegen ich nach Mellinor geschickt wurde, um sicherzustellen, dass Monpress es nicht stiehlt. Trotz meiner Bemühungen konnte Renaud den Pfeiler erfolgreich zerbrechen und die Kontrolle über den geschwächten Großen Geist des jetzt ausgetrockneten Binnenmeeres Mellinors gewinnen. Doch mit Monpress’ Hilfe war ich fähig, Mellinor aus Renauds Kontrolle zu befreien und den Versklaver zu vernichten.«
Am Ende ihrer Ausführung flüsterte die Menge bereits wie verrückt. Hern hob seine Hand, und jedes Geräusch verstummte.
»Eine faszinierende Geschichte«, sagte er. »Die sich natürlich genau mit dem deckt, was das Königreich von Mellinor an den Rat gemeldet hat. Doch die Frage bleibt: Wie konnte all das damit enden, dass Monpress entkommt und Ihr Euch im Besitz eines Großen Geistes befindet?«
Miranda warf ihm einen bösen Blick zu. »Nach Renauds Tod verlangte
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