Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
Mellinor das Land zurück, das ihm rechtmäßig zustand und das Gregorn ihm gestohlen hatte – das Land, das jetzt das Königreich von Mellinor bildet. Doch es lebten Menschen auf diesem Land, und Millionen von Geistern wären gestorben, wenn es sich wieder in ein Meer verwandelt hätte. Das konnte ich nicht zulassen. Doch ein Geist ohne sein Land ist ein Gespenst ohne Heimat, und Mellinor hatte zu viel überlebt, um zuzulassen, dass er nur Sekunden nach dem Gewinn seiner Freiheit starb. Also haben wir einen Kompromiss gefunden: Mellinor würde das Königreich seinen neuen Einwohnern überlassen, und ich würde ihm eine neue Heimat schenken, in dem einzigen Gefäß, das für einen Geist seiner Größe ausreichte: meinem eigenen Körper.«
»Euer Körper?« Hern schenkte ihr einen angewiderten Blick und achtete sorgfältig darauf, dass jeder es mitbekam. »Hochgradig unorthodox, und sehr gefährlich sowohl für den Geist als auch für den Spiritisten. Ich nehme an, es war Eure Idee?«
»Ja«, antwortete Miranda. »Aber würde nicht jeder Spiritist sein Leben riskieren, um einen Großen Geist zu retten?«
»Sein eigenes Leben natürlich«, gab Hern zurück. »Aber habt Ihr darüber nachgedacht, was geschieht, wenn Ihr sterbt, Miss Lyonette? Mit einem kleinen Meer in Euch?« Er hob seine Hand und wackelte mit seinen beringten Fingern. »Ein Stein ist stabil, beständig, aber Menschen sind zerbrechliche Wesen. Dieser Hund, den Ihr da habt, könnte aggressiv werden und Euch fressen, und damit ganz Zarin überfluten.«
Gin knurrte wild, aber Miranda legte erst eine Hand auf seine Schnauze, um dann an seinem Ohr zu ziehen, bis er verstummte. Als sie sicher war, dass er nicht wieder anfangen würde, löste sie ihren Griff und antwortete Hern so ruhig, wie es ihr nur möglich war. »Ich habe innerhalb der bestehenden Möglichkeiten mein Bestes getan. Ich musste in dieser Nacht eine Wahl treffen, und ich habe mich entschieden, so viele Leben zu retten wie nur möglich, ob nun Geister oder Menschen. Welcher Spiritist würde anders handeln?«
»In der Tat, welcher Spiritist würde das?«, fragte Hern gleichzeitig geziert und herablassend. »Ihr versucht, an unser Mitleid zu appellieren, Eure wahren Absichten hinter reinen Beweggründen zu verstecken. Doch wir sind nicht so einfach zu täuschen wie dieser arme, verwirrte Wassergeist.«
Miranda blinzelte, weil dieser neue Angriff sie überraschte, aber Hern hielt nicht inne.
»Glaubt Ihr, wir hätten Eure erstaunliche Karriere nicht verfolgt?«, fragte er und sah sich im Hof um. »Wie sollten wir? Ihr kamt aus einer wohlhabenden Familie aus Zarin an den Hof, habt Euer Training in zwei statt den üblichen drei Jahren abgeschlossen, und von dem Moment an, da Ihr den Eid eines Lehrlings abgelegt habt, war niemand anders als Lehrer geeignet als Etmon Banage selbst, der neue Favorit für den Posten des Rektor Spiritualis.«
Miranda ballte die Hände zu Fäusten. »Ich sehe nicht, wie das irgendeine Auswirkung auf …«
»Nicht?«, blaffte Hern. »Dann schaut genauer hin. Euer gesamtes Leben innerhalb des Hofes drehte sich um Leistung und Ehrgeiz. Es ist kein Geheimnis, dass Banage Euch zu seiner Nachfolgerin heranzieht. Die besonderen Missionen, auf die er Euch schickt, sind alle höchst ordnungswidrig, und wir wollen nicht einmal davon reden, wie unschicklich es war, mit veruntreuten Hofgeldern einen Kopfgeldjäger namens Coriano anzuheuern, um Monpress zu finden.«
Ein enormer, kollektiver Aufschrei hallte bei diesen Worten durch den Raum, und Banage schlug auf seinen Tisch.
»Hern«, sagte er, »wenn Ihr ein Problem mit meinem Vorgehen habt, werdet Ihr das mit mir persönlich austragen. In diesem Prozess werdet Ihr Eure Aussagen auf die Sache selbst beschränken.«
»Natürlich.« Wieder veränderte sich Herns Tonfall. Jetzt troff er förmlich vor Aufrichtigkeit. »Ich habe diese hässliche Situation nur erwähnt, um unseren guten Turmwächtern einen umfassenden Eindruck vom Charakter der Frau zu verschaffen, über deren Schicksal wir hier entscheiden.« Er wandte sich wieder Miranda zu. »Denn wenn man ihre Vorgeschichte von Ehrgeiz und mangelndem Respekt gegenüber dem Geisterhof mit in die Gleichung nimmt, sollte es schließlich nicht überraschen, dass Miranda Lyonette sofort die Chance ergriffen hat, einen Großen Geist zu binden; etwas, was kein Spiritist je getan hat, seitdem der Eid geschrieben wurde.«
Gin knurrte, und diesmal hielt Miranda ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher