Legenden d. Albae (epub)
würde.
Geh
! Tu dir das nicht an,
sagte das innere Stimmchen
.
Aber Raleeha war nicht in der Lage dazu, das Ohr von der Wand zu nehmen, und quälte sich weiter, indem sie lauschte.
Nach schier unendlicher Zeit endete das Liebesspiel, und schon tauchte eine zweite Albin auf.
Yantarai,
erkannte Raleeha die Stimme. Sinthoras verließ fluchtartig den Raum und wollte sich keinem Disput stellen.
Er wird mich niemals erwählen. Ich sollte zu meinem Volk zurückkehren, anstatt mir einzubilden, in Dsôn jemals mehr als eine Sklavin sein zu können.
Sie wandte sich zum Gehen. Dabei nahm sie sich fest vor, Caphalor um die Freilassung zu bitten. Die Verträge waren alle geschlossen, es gab keinen Grund, sie als Geisel zu behalten.
Auf dem Weg nach draußen prallte sie unvermittelt gegen jemanden – eine Albin, dem Empfinden nach. Dabei fielen die Skizzen zu Boden, die sie ihrem Bruder hatte schenken wollen. Mit einem dünnen Federmesser hatte sie dicke Pergamente geritzt, zu zeichnen versucht und die Umrisse immer wieder mit ihren Fingern geprüft. Eindrücke aus Dsôn, geboren aus ihrer Erinnerung.
»Verzeiht«, sagte sie sofort und sank auf die Knie. Einmal, um ihre Demut zu zeigen und dann, um nach den Pergamenten zu tasten.
»Ich hätte besser achtgeben können«, antwortete die Albin.
Auch das noch.
Raleeha hatte Timānris’ Stimme erkannt. Sie erwiderte nichts, suchte noch immer nach den Pergamenten.
Wo sind sie
?
»Bemerkenswert!«, rief Timānris aus, und Raleeha hörte die Pergamente aneinanderreiben: Die Albin hielt sie in den Händen. »Das sind außerordentliche Arbeiten!«
Sie erhob sich und verneigte sich. »Es ist nichts, Herrin.«
Gib sie mir
!
Du
solltest sie schon gar nicht anrühren.
»Wie ist dein Name?«
»Raleeha, Herrin.«
»Ach? Du bist
die
Raleeha, die Leibeigene mit der besonderen Geschichte?« Es raschelte wieder. »Dass du derart begabt bist, hat jedoch niemand gesagt. Für eine Menschenfrau ist es erstaunlich!«
Raleeha wurde die ungewohnte Aufmerksamkeit zu viel.
Wieso sagt sie nicht Barbarin
?
»Nur Kratzereien, die nach …«
»Kratzereien nennst du das?«, fiel ihr Timānris ins Wort. »Kind, wie kannst du nur?« Sie klang immer begeisterter, steigerte sich in Überschwang. »Dein Besitzer ist Caphalor?« Raleeha nickte. »Ich werde mit ihm reden. Ich
muss
dich meinem Vater vorstellen! Er soll deine Arbeiten sehen und seine Meinung dazu sagen.«
Nur das nicht.
»Herrin, ich bin eine Sklavin, eine Rechtlose, die …«
»Halt, Raleeha. Du bist eine Menschenfrau, die sich freiwillig in die Hand eines Albs begeben hat.« Timānris schien zu lächeln, wie Raleeha an ihrer veränderten Sprechweise zu hören glaubte. »Für mich bist du keine Sklavin, sondern eine angehende Künstlerin. Nein, eine nicht erkannte Künstlerin! Wie konnte das keinem deiner … Besitzer auffallen?«
Raleeha wollte weg. Das Letzte, was sie brauchte, war die Rivalin als Fürsprecherin – und doch fühlte sie sich wegen der Anerkennung geschmeichelt. Sie schwieg lieber.
»Gut, abgemacht«, rief Timānris fröhlich. »Ich suche Caphalor auf. Eines der Pergamente nehme ich mit. Ich kann es kaum erwarten, es meinem Vater zu zeigen!« Raleeha fühlte eine Berührung an der Schulter, dann bekam sie ihre Werke in die Hand gedrückt. »Du hörst von mir.«
Ein böser Gedanke schlich sich in Raleehas Kopf. Wenn sie die Gelegenheit bekäme, mit der Rivalin allein zu sein, was wäre dann alles möglich? Ein Unfall würde genügen, ein Stoß irgendwelche Treppen hinab oder von einer Brüstung. Sie wäre sofort zur Stelle, um Sinthoras Trost zu schenken …
Nein
! Selbst wenn sie stirbt, würde er mich nicht nehmen.
Raleeha eilte weiter und hoffte, den Einflüsterungen zu entkommen.
Aber der Keim hatte sich in ihr eingenistet, wo er dunkle Wurzeln schlug. Ganz nach albischem Denken.
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Strahlarm Wèlèron, 4371. Teil der Unendlichkeit (5199. Sonnenzyklus), Winter
Caphalor betrat das Zelt, in der die Obboona ihn erwarten wollte.
Die Lampen waren bis auf eine verloschen, und noch war er allein.
Sie verspätet sich, wie es den Anschein hatte. Mit Absicht.
Ein Spielchen, um ihm zu zeigen, wie viel Macht sie besaß. Sie konnte es sich erlauben, ihn warten zu lassen.
Er setzte sich, die Schwerter auf den Schoß gelegt. Der aufgefrischte Wind rüttelte an den Planen, ließ sie aneinanderreiben.
Die Aufklärer hatten gemeldet, dass sich etwa
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