Legenden d. Albae (epub)
Menschenfrau in einem engen dunkelgrauen Kleid eilte hindurch und hetzte zur Kammer, in der er seine Bilder zu malen pflegte.
Seine Seele folgte ihr, umschwirrte sie.
Nach menschlichen Maßstäben war sie unnatürlich schön, weswegen sie keinen Schleier tragen musste. Sogar Elben hätten anerkennend den Mund verzogen und eingestehen müssen, dass sie sich beinahe mit ihren Schönsten messen konnte. Doch in ihren blauen Augen standen Tränen, und die schwarzen Haare wehten wie ein Trauerschleier hinter ihr her. Um ihren Hals lag das lederne Sklavenband mit den drei filigranen Silberschnallen, das ihr die Kehle so weit abschnürte, dass sie nur mit Müh und Not Luft holen konnte. Essen und trinken durfte sie sowieso nur auf sein Geheiß.
Raleeha erreichte die halb geöffnete Tür, durch die Licht in den Gang fiel und hinter der ihr Gebieter weilte. Sie pochte dagegen und wartete, dass ihr die Erlaubnis erteilt wurde, die Kammer zu betreten. Täte sie dies ohne seine Aufforderung, so würde es ihren Tod bedeuten. Das hatte er ihr selbst eingeschärft. Raleehas Vorgängerin hatte eine solche Gedankenlosigkeit mit dem Leben bezahlt, nachdem sie ihm einen ganzen Teil der Unendlichkeit gedient hatte. Er vergab Menschen nichts.
Faszinierend fand der Alb, dass sein derzeitiger Blickwinkel ihm mehr über sie verriet: Der Tonfall seines Rufs hatte sie vor seiner Unzufriedenheit gewarnt, und das betrübte und beunruhigte sie gleichermaßen.
Die Musik in der Kammer war verstummt. Helòhfor hatte aufgehört zu spielen, da er spürte, dass etwas nicht nach dem Gefallen des Hausherrn verlief.
Etwas zog Sinthoras’ Seele durch die Tür und zwang ihn in seinen Körper zurück. Die Seelenreise war zu Ende, ohne dass er sein Werk hatte beenden können. Durch ihre Schuld!
»Komm«, befahl er Raleeha mit sanfter Stimme, um sie in Sicherheit zu wiegen. Seine Aufgebrachtheit würde er ihr nicht zeigen. Noch nicht.
Zitternd öffnete sie die Tür, senkte den Blick und trat hinein. Ansehen durfte sie ihn nicht. Nicht ohne Erlaubnis.
»Gebieter, wie kann ich Euch zu Willen sein?«
»Raleeha, ich hatte dir gesagt, dass du mich in Kenntnis setzen sollst, wenn der Vorrat an Pirogand-Gelb zur Neige geht«, sagte er milde und weidete sich an ihrer wachsenden Furcht. Ihr wurde sicherlich eiskalt. Sie hatte einen Fehler begangen, und
er
war
zu
freundlich zu ihr! Sie musste annehmen, dass ihr Schicksal nun besiegelt war.
Bebend schloss sie die Augen. »Tötet mich rasch, Gebieter«, bat sie und biss sich auf die Unterlippe, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. »Die Ahnen der Lotor werden mich hoffentlich gnädig empfangen.«
»Das Pirogand-Gelb, Raleeha.« Sinthoras fühlte sich noch immer berauscht. Auch wenn seine Seele nicht mehr schwebte, sein Verstand tat es. Er roch Raleehas Angst wie einen süßen, betörenden Duft.
»Mein Versäumnis, Gebieter.« Sie warf sich vor ihm zu Boden. »Ich hielt den Tiegel für zu einem Drittel gefüllt. Meine Augen haben mich getäuscht, Gebieter.«
Sinthoras trat auf sie zu. Man hörte einen Alb nie, wenn er es nicht wollte, eine von vielen wunderbaren Eigenschaften. Seine schlanke, fast dürre Hand fasste ihr unters Kinn und hob ihren Kopf an. »Sieh mich an.« Zwangsläufig glitt ihr Blick über seine Gestalt. »Auf die Knie, Raleeha.« Er schob ihren Kopf weiter nach oben, sodass sie ihm ins Antlitz schauen musste; das schwarze Lederband um ihren Hals knirschte.
Raleeha hatte es die Sprache verschlagen. Er wusste: Seine Schönheit gebar in ihr Freude, welche die Angst für einen Augenblick überflügelte. Dies war mit ein Grund, weswegen sie sich in freiwillige Hörigkeit begeben hatte.
Er sah sie maßregelnd an, die gänzlich schwarzen Augen erfassten jede Kleinigkeit an ihr. Niemand besaß eine hübschere Menschensklavin als er. Sie zu töten wäre eine zu große Verschwendung. Dennoch musste sie eine Strafe erhalten, welche sie traf und sie leiden ließ. Körperlich, seelisch.
»Du weißt, dass dieses Gelb nur mit großem Aufwand und unter Gefahr zu beschaffen ist. Ich wollte heute mit dem Bild fertig werden. Dazu ließ ich Helòhfor kommen, einen Seelenberührer, um mich zu erhöhen und ein Werk zu schaffen, wie es kein anderer vermag.« Noch immer lagen seine Finger an ihrem Kinn, drückten leicht in ihr Fleisch. Seine gepflegten Nägel schmerzten gewiss ihre Haut. »Das werde ich jedoch nicht tun können. Wegen dir.«
»Meine Nachlässigkeit ist unverzeihlich, Gebieter«, sagte sie mit
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