Legenden der Traumzeit Roman
geschrieben während ihrer Ehe mit Edward. Sie wusste, wenn man es fände, würde es entsetzliche Probleme aufwerfen, und sie war vorsichtig genug, es in ihrer deutschen Muttersprache zu verfassen und hinter der Wand im alten Kinderzimmer zu verstecken.«
Niall betrachtete Frederick aufmerksam. »Fahr fort!«, sagte er ruhig.
»Eloise betrachtete das Tagebuch als Freundin. Ich glaube nicht, dass sie viele Freundinnen hatte – bis auf ihre Schwestern. Da sie ihre Gefühle diesem kleinen Buch anvertraute, hatte sie offenbar sonst niemandem, bei dem sie ihr Herz ausschütten konnte.«
Frederick zog ein Zigarrenetui aus der Tasche und ließ sich beim Ritual des Anzündens Zeit, um sich zu sammeln. »Edward, mein Großvater, für den ich mich schäme, war ein schlechter Mann«, sagte er kalt. »Er hat sich weder um sie gekümmert noch um die Kinder, die sie ihm schenkte; er hat sie lediglich als Besitztümer betrachtet, die er nach Belieben benutzen und fallenlassen konnte.« Frederick schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden. »Er hat Eloise vergewaltigt, Niall – hat sie mit Gewalt genommen und ihr gedroht, sie und meine Onkel Harry und Charles umzubringen, sollte sie ihn verlassen.«
»Grundgütiger Gott!«, flüsterte Niall. »Ich wusste, er war ein Ungeheuer, aber mir war nie klar …«
Frederick sah dem Zigarrenrauch nach, der sich zur Decke emporkringelte. »Mein Vater war das Resultat dieser furchtbaren Gewalt, doch Eloise war eine enorm starke, mutige Frau, denn sie war imstande, freudig in ihr Tagebuch zu schreiben, dass Edward so dumm sei, darauf zu bestehen, das Kind Oliver zu nennen, undda der Name ›Friede‹ bedeute, sei das der Beweis dafür, dass aus solchem Übel etwas Gutes erwachsen sei.«
»Ich wundere mich, dass sie ihn nicht verlassen hat«, murmelte Niall vor sich hin. »Klingt so, als hätte sie die Hölle durchlebt.«
»Sie war drauf und dran, als er sie überfiel und das Leben meines Onkels Charles bedrohte. Er schwor, er werde sie überall aufspüren, wo auch immer sie sich verstecke. Sie hatte höllische Angst. Dann bekam sie natürlich meinen Vater Oliver, und alle Hoffnung auf Flucht war dahin.«
»Hat sie geschrieben, wohin sie weglaufen wollte?«
»Zu ihrem Liebhaber.«
Niall riss die Augen auf. »Warum hat der sie dann nicht gerettet? Er muss doch eine Ahnung von dem Albtraum gehabt haben, den sie durchmachte?«
»Er wusste nichts, nicht in dem Stadium, und obwohl Eloise liebend gern bei ihm gewesen wäre, wusste sie, ihre Affäre musste ein Ende haben. Nicht nur um sich und ihre Kinder zu schützen, sondern auch ihren Liebhaber. Edward war ein gewalttätiger, besitzergreifender und eifersüchtiger Mann, der zu Wutanfällen und Trunkenheit neigte, und sie wusste, wenn er ihre Liaison mit diesem Mann herausbekäme, würde er ihn umbringen.«
»Wer war es?«
»George Collinson.«
Niall lächelte. »Ah, aber am Ende hat sie ihn ja geheiratet. Das freut mich. Sie hatte ein wenig Glück verdient.«
»Richtig«, stimmte Frederick ihm zu. »Nach dem tragischen Tod ihres Ältesten, Charles, hat sie endlich den Mut aufgebracht, Edward zu verlassen, der sich daraufhin das Leben nahm. Nach seinem Selbstmord war sie frei, wieder zu heiraten. Die Liebe zwischen George und Eloise war stark wie eh und je, trotz der Jahre, die sie gezwungenermaßen getrennt voneinander verbracht hatten. Obwohl ich mich an keinen von beiden deutlich erinnern kann, ist mir, als wären sie vollkommen glücklich gewesen.«
Niall trank seinen Whisky aus und stellte das Glas ab. »Eine Geschichte, die gut ausgeht, gefällt mir immer.« Sein Blick war bohrend. »Aber ich habe das Gefühl, das ist noch nicht das Ende.«
Frederick schüttelte den Kopf. »Onkel Harry ist der Earl of Kernow, aber er hat kein Anrecht auf den Titel oder das Anwesen.« Er holte tief Luft und schaute Niall an. »Er war nicht Edwards Sohn. George war sein Vater.«
Niall stieß einen langen, leisen Pfiff aus. »Und Eloise hat es niemandem erzählt?«
»Nur ihrem Tagebuch.« Er rauchte die Zigarre, und das Kältegefühl nach den Enthüllungen seiner Großmutter hatte ihn noch nicht verlassen. »Sie schreibt von ihrer Freude über seine Geburt, über die Angst, die sie hatte, dass Edward ihre Täuschung aufdecken würde, und von der sehr realen Gefahr, in der sie alle schwebten, falls sie es George erzählte, denn George würde nicht beiseitetreten und seinen Sohn von einem anderen Mann großziehen lassen – schon gar nicht
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