Legenden der Traumzeit Roman
Freundlichkeit hatte ihr Heimweh gemildert, aber sie hatte sie auch an den Verlust der Mutter und Großmutter erinnert. Fest entschlossen, sich nicht von Gefühlen unterkriegen zu lassen, warf sie das Korsett beiseite, ließ ein paar Unterröcke weg und schnürte das Mieder ihres sauberen Kleides fest zu.
Sie bürstete sich die Haare aus, steckte sie hoch und schaute kurz in den kleinen Spiegel, den sie auf ein Regal gestellt hatte. Hilda hatte recht: Es ging ihr schon besser; die fehlende schwere Unterwäsche veränderte ihre äußere Erscheinung in keiner Weise, verlieh ihr jedoch ein neues Gefühl der Freiheit. Durch diese Feststellung erfrischt und durch Hildas Freundlichkeit ermutigt, machte sich Jessie leichten Schrittes auf den Weg zum Haupthaus. Ihre Hoffnungen auf die Zukunft erhellten den Weg.
Fünf
Auf dem Blue Mountain Trail, Dezember 1849
S ie waren schon viele Wochen unterwegs, und Kumalis anfängliche Furcht vor den gubbas war bezwungen. James und der Mann, den sie Fergal nannten, beachteten sie meistens nicht, es sei denn, sie hatten Arbeit für sie. Duncan war mürrisch, doch das war ihr immer noch lieber als das anzügliche Grinsen von Bert und Wally, deren feurige Blicke ihr stets folgten. Sie achtete darauf, tagsüber nie allein mit ihnen zu bleiben, und nachts suchte sie unter dem Wagen bei Ruby und James Schutz.
Da Kumali lieber zu Fuß ging, als zu reiten, lief sie neben dem Karren her und hörte amüsiert zu, wenn Fergal über die Ochsen fluchte und murrte. Er klang sehr grimmig, und sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn er mit der Peitsche knallte. Aber sie hatte schnell begriffen, dass Fergal sehr stolz auf seine Tiere war und sich gut um sie kümmerte.
Kumali war noch nie so zufrieden gewesen, seit man sie ihrer Mutter aus den Armen gerissen hatte. Ihr altes Kleid hatte Ruby zerschnitten und notdürftig wieder zusammengenäht, damit es richtig saß, und sie hatte Kumali einen ramponierten Hut überlassen. Die angebotenen Stiefel hatte Kumali abgelehnt, denn das ungewohnte Scheuern machte sie unbeholfen auf den Beinen; auch die Unterkleidung, die Ruby ihr aufgezwungen hatte, fühlte sich komisch an, aber das war kein hoher Preis für die Freiheit, und Kumali würde sich wohl daran gewöhnen.
Als sie aus dem kühlen Schatten der Bäume ins grelle Sonnenlicht tauchten, hielt Fergal die Ochsen an. Sie hatten denletzten Berggipfel erklommen, und alle versammelten sich, um in das Tal zu schauen. Das üppige grüne Weideland schien sich zwischen den schützenden Flanken der Granitfelsen bis ins Unendliche zu erstrecken. Glitzernde Wasserläufe mäanderten hindurch und bildeten große Seen, die den Dunst ferner Berge und das sanfte Graugrün der Eukalyptusbäume widerspiegelten.
»Wir sind fast da«, sagte Ruby aufgeregt. »Noch in dieser Woche dürften wir einen ersten Blick auf unsere Parzelle werfen.«
»Ja, wenn wir die Tiere und den Wagen hinuntergeschafft haben«, murrte Fergal.
Kumali betrachtete den steilen, gewundenen Pfad und die brüchigen Ränder, die nur wenig Schutz vor den tief abfallenden Schluchten boten. Nach einem Blick auf den breiten Karren und die schweren Tiere schauderte sie. Sie sicher hinunterzubringen würde viel Kraft und Mut erfordern.
»Tja, hier können wir nicht bleiben«, sagte James. Er blinzelte in die Sonne. »Wir haben noch mindestens sechs Stunden Tageslicht. Am besten fangen wir gleich an.«
Kumali und Ruby warteten, während die Ochsen wieder angeschirrt wurden, einer vorn, drei hinten. Der Leitochse würde ziehen, die anderen sollten als Bremsen dienen, um das Gewicht des Wagens und das Gefälle auszugleichen. Die Pferde wurden jeweils mit mindestens zwei kleineren Bündeln beladen, sodass alle außer Fergal zu Fuß gehen mussten. Duncan würde später mit den Hunden und den Schafen folgen.
»Für mich?«, wollte Kumali von Ruby wissen, als diese ihr die Zügel eines Pferdes in die Hand drückte. Sie war noch nie allein für ein Pferd verantwortlich gewesen.
Ruby tätschelte den kastanienbraunen Hals des Hengstes. »Er ist der Ruhigste von allen. Das schaffst du schon.« Sie musste die Unsicherheit in Kumalis Augen gesehen haben, denn sie lächelte aufmunternd. »Ich bin hinter dir. Lass die Zügel nur nicht los, und halte dich vom Rand fern.«
»Fertig?«, rief James. Er schaute jeden einzeln an und gab Fergal dann ein Zeichen.
Der Leitochse wurde angetrieben, und der Wagen setzte sich rumpelnd in Bewegung. Die anderen Ochsen waren hinten fest
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