Legenden der Traumzeit Roman
holten oder ein krankes Schaf oder einen Hund pflegten, sah die Kraft in seinem Gesicht, die Wölbung seiner Stirn und die Breite seiner Schultern. Er war ein eigenartiger Mann mit seinen Gedichtbänden und seiner Maultrommel – schweigsam zuweilen und selbstgenügsam, dann wiederum nur allzu gern bereit, ihr von seinem Leben in Schottland zu erzählen, wo er für einen sogenannten Gutsherrn gearbeitet und eine riesige Schafherde gehütet hatte.
Das Verlangen war vor einiger Zeit aufgekommen, und nun konnte Kumali seine Hitze spüren, während sie den schlafenden Mann beobachtete. Als hätte ihr forschender Blick seine Träumedurchbohrt, schlug Duncan die Augen auf. Schweigend starrten sie einander an. Kumali fragte sich, ob nun die Zeit gekommen war, zu ihm zu gehen, doch als sie sich anschickte, aufzustehen, rollte er sich herum und zog unter den Fellen die Schultern hoch.
Sie stützte die Wange in die hohle Hand und beobachtete, wie seine Schultern sich mit dem Atem hoben und senkten. Sie war zufrieden, denn Duncans Augen hatten ihr mehr als alle Worte gesagt, und wenn er entschied, dass es Zeit für sie war, sich zu vereinigen, dann würde sie bereitwillig zu ihm gehen.
Sieben
Kernow House, Watsons Bay, Juni 1850
M an hatte die Lampen angezündet, um die Finsternis eines regnerischen Wintertages zu vertreiben, und im Kamin glühte ein Feuer. Harry wurde bei der Lektüre der Zeitung immer wütender. »Vollkommen lächerlich!«, schnaubte er und raschelte mit dem Papier.
»Was ist los?« Lavinia betrachtete ihn amüsiert und legte ihre Handarbeit nieder.
»Australiens koloniale Legislative, nicht London, sollte die Macht haben, Steuern zu erheben und über die Einnahmen zu verfügen, die sich aus dem Verkauf von Ländereien der Krone ergeben. Es ist heller Wahn, dass die Kolonialgesetzgeber alle wichtigen Maßnahmen, ungeachtet ihrer Dringlichkeit, einem unerfahrenen, fernen und unverantwortlichen Ministerium in London vorlegen sollen. Als wüssten diese Schwachköpfe irgendetwas darüber, was hier vonnöten ist, oder über die Probleme, die sie mit ihrer Sturheit verursachen.«
»Ach, Lieber«, seufzte sie, »du bist nicht gut aufgelegt.«
»Es ist aber auch absurd!« Er warf die Zeitung beiseite und starrte wütend hinaus in den Regen. »Alles schön und gut, wenn man denen die Macht gibt, die über Ländereien und Besitztümer verfügen – hier gibt es keinen Adel –, aber die Mehrheit wird nicht dafür sein. Denk an meine Worte, Lavinia! Diese Kolonie war ursprünglich eine Strafkolonie, und jedes elitäre Denken wird ausgemerzt werden. Unmöglich, hier die Autorität aufrechtzuerhalten, wenn London die Knute schwingt.«
Lavinia schenkte eine Tasse Tee ein und reichte sie ihm schweigend, bevor sie sich selbst bediente.
Harry bedankte sich mit einem Kopfnicken, doch seine Gedanken gingen weit über das Wohnzimmer hinaus. »Niemand hat sich richtig überlegt, welche Art Verfassung hier gebraucht wird – das ist das Problem. Trotz ihrer großen Töne haben diese gesetzgebenden Körperschaften keine echte Erfahrung mit der Lokalverwaltung, und bei der weitläufigen Besiedelung wird das kaum zu bewältigen sein. Auch der Versuch, vier koloniale Parlamente zu haben, die Gesetze über solche Dinge wie Eisenbahnlinien und Zollpflichten verabschieden, ist von Nachteil. Ich sage dir, Lavinia, jede dieser verdammten Eisenbahnlinien fährt auf einer anderen Spurbreite. Es ist ein Fiasko!«
»Dann ist es vielleicht ganz gut, dass wir am Ende des Monats nach England zurückkehren«, sagte sie und warf ihm über dem Rand ihrer Tasse einen Blick zu. »Als Mitglied des Oberhauses wirst du über die nötige Erfahrung und das Wissen verfügen, um die Regierung Ihrer Majestät zu beraten, wie man die Kolonie zufriedenstellender führen kann.«
»Bei Gott, das werde ich auch!«, murmelte er. »Russell ist ein Idiot, wenn er meint, die Kolonie wird sich einfach zurücklehnen und auf Befehle aus London warten. Australien muss vorankommen, muss auf eigenen Beinen stehen und sich dem Rest der Welt beweisen, und das kann es nicht, wenn es an Queen Victorias lächerliche Gesetze und Vorschriften gebunden ist. Das führt zur nächsten Boston Tea Party, die ich zum Beispiel unterstützen würde.«
»Harry!«
»Verzeih, meine Liebe! Aber bei dem Thema platzt mir der Kragen.«
»Das habe ich gemerkt. Trink deinen Tee, Schatz! Du wirst feststellen, er beruhigt.«
Harry trank finster seinen Tee und schaute zum Fenster
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