Legenden der Traumzeit Roman
anderen«, erwiderte er.
»Verzeihen Sie. Ich wollte nicht …«
Niall tat die Entschuldigung mit einem Schulterzucken ab und beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Ich habe tatsächlich versucht, Oliver zu warnen, dass die Finanzen nicht ausreichen würden, aber natürlich ist er nicht der Mann, der sich von einem ehemaligen Sträfling etwas sagen lässt.« Er lächelte schief. »Die Bank hat den Kredit aufgekündigt, und das Konsortium hat alles verloren, was es investiert hat.«
»Aber ein so wichtiges Unternehmen wird doch bestimmt von der Regierung übernommen?«
Niall stieß einen tiefen Seufzer aus. »Sie wird die Scherben einsammeln, weil man die Eisenbahnen braucht, um das Landesinnere zu erschließen, aber die ursprüngliche Investition ist verloren.«
Harry beobachtete, wie der Ire sein Whiskyglas leerte. Er sah kein Anzeichen für Triumph, hatte nicht das Gefühl, dass Niall sich damit brüstete, sein Geld sei in Sicherheit – der Vertrag, die Gleise zu verlegen und die Arbeitskräfte bereitzustellen, war noch in Kraft, ungeachtet dessen, wer die Rechnungen bezahlte. Stattdessen nahm er eine tiefe Trauer an ihm wahr, ein Verständnis für die Folgen der Ereignisse an diesem Tag.
»Ich wünschte, mein Bruder wäre Ihrem Rat gefolgt und besäße Ihren geschäftlichen Scharfsinn.«
Die blauen Augen in dem gut aussehenden Gesicht schauten ihn offen an. »Wir sind alle unterschiedlich, jeder macht sich auf seinen eigenen Weg, um mehr zu erreichen als die letzte Generation. Sie können Oliver nicht vorwerfen, ehrgeizig zu sein.« Er stellte das Glas ab und erhob sich. »Ich möchte mich verabschieden, Sir Harry. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden, und wenn ich helfen kann, müssen Sie nur fragen.«
Harry erwiderte den festen Händedruck und folgte Niall nach draußen. Ohne auf den Regen zu achten, stand er noch auf der Treppe, nachdem die Kutsche längst verschwunden war. SeineGedanken waren in Aufruhr. Seine Pläne, noch in diesem Monat nach England zurückzukehren, waren geplatzt. Bevor er nicht wusste, wie diese Sache ausgehen würde, konnte er keinerlei Entscheidungen treffen. Er schaute zu den geschlossenen Fensterläden hoch und ging angsterfüllt wieder ins Haus.
Eden Valley, am nächsten Tag
Ruby hatte ihre Enttäuschung mit sich herumgetragen, während das Kind in ihr heranwuchs. James hatte aufgegeben, so zu tun, als freue er sich darüber, Vater zu werden, und hatte in den vergangenen Monaten nur selten in der Rindenhütte übernachtet.
Sie verstand, dass er und die anderen die wachsende Herde im Auge behalten mussten, dass es notwenig war, weit von der Hütte entfernt zu bleiben, um sie vor Dingos und diebischen Nachbarn zu schützen, dennoch sehnte sie sich schmerzlich nach der Zärtlichkeit, die sie einst geteilt hatten, nach den Augenblicken der Vertrautheit, die sie so eng miteinander verbunden hatten. Und sie verzweifelte an seinem mangelnden Interesse für ihr Wohlergehen. Ihr kam es vor, als liebe er sie nicht, und während sich die Monate dahinzogen, war sie überzeugt, dass James einen Groll gegen das erwartete Kind hegte – vielleicht sogar eifersüchtig war.
Entschlossen schob sie diese Gedanken beiseite, strich sich den Regen aus dem Gesicht und versuchte, eine bequemere Haltung im Sattel einzunehmen. Seit kurz vor dem Morgengrauen war sie an der Grenze ihres Anwesens entlanggeritten, um die Zäune zu überprüfen, und jetzt hatte sich ein beständiger Schmerz in ihrem Rücken festgesetzt. Sie glitt aus dem Sattel, streckte sich und lockerte die angespannten Muskeln. Sie beschloss, unter den Bäumen Schutz zu suchen. Duncan und Kumali lagerten irgendwo in der Nähe, und sie glaubte eine leichte Rauchfahne über dem Buschwerk wahrzunehmen.
Den Kopf gegen den Regen gesenkt, führte sie das Pferd unter die Bäume und folgte dem Geruch nach Holzrauch und gekochtem Fisch. Bei dem verlockenden Gedanken an etwas Essbares knurrte ihr Magen. Sie hatte seit dem Vorabend nichts gegessen, und die Tasse Milch, die sie am Morgen getrunken hatte, hatte nicht ausgereicht, um sie über den Tag zu bringen.
Als sie sich dem Lager näherte, vernahm sie Kumalis Gelächter, und als sie durch die Bäume einen Blick auf die beiden erhaschte, wich sie zurück. Sie saßen unter einem Schutzdach aus Segeltuch auf einem Bett aus getrockneten Farnwedeln, und Duncans sonst mürrische Miene war sanft. Er versuchte, dem Mädchen das Lesen in dem einfachen Buch beizubringen, das Ruby ihr vor
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