Legenden der Traumzeit Roman
hinaus, wirre Gedanken im Kopf, wie er das heikle Problem vor das Oberhaus bringen sollte – aber er würde es tun, und heute Abend, sobald das Haus still war, würde er seine Ideen zu Papier bringen.
Das Geräusch einer in die Auffahrt rumpelnden Kutsche holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Stirnrunzelnd betrachtete er das unbekannte Fahrzeug. »Erwartest du Besuch – oder Amelia?«
»Amelia ruht sich aus und hat keine Besucher erwähnt.« Lavinia folgte seinem Blick und sah, dass der Fahrgast ausstieg. »Wer ist das?«
»Niall Logan. Was will er nur, um alles in der Welt?« Harry sprang auf, als Niall durch den Regen zur Vordertreppe lief. Der Ire war aschfahl im Gesicht, seine Hände zupften aufgeregt an seinem Mantel. »Irgendetwas stimmt nicht. Ich werde mit ihm sprechen.«
»Sie sind da, Gott sei Dank! Es geht um Oliver«, keuchte Niall.
»Oliver?« Harry überlief ein Schauer. »Wo ist er?«
»In meiner Kutsche.«
Harry lief die Treppe hinunter und riss die Kutschentür auf. Der Anblick, der ihn dort erwartete, ließ ihn noch mehr frösteln, denn Oliver war auf dem Sitz zusammengesunken, sein Gesicht von heftigen Krämpfen verzerrt. Seine Augen traten hervor, sein Arm und das Bein auf der rechten Seite zuckten auf höchst beunruhigende Weise. »Helfen Sie mir, ihn ins Haus zu bringen!«, befahl er dem Kutscher.
Der Regen platschte, während sie ihn mit Mühe aus der Kutsche holten. Oliver war schwer, und infolge der Krämpfe, die ihn schüttelten, war es fast unmöglich, ihn zu tragen. »Wir brauchen mehr Hilfe«, rief Harry, doch die war schon zur Stelle, denn die Dienerschaft strömte aus dem Haus, nachdem sie die Unruhe wahrgenommen hatte.
»Was ist los? Was ist passiert?« Amelias schrille Stimme drang durch das leise Murmeln der Männer, die Oliver aus der Kutsche hoben. »Oliver!«, schrie sie. »Oliver, nein!« Sie schüttelte Lavinias Hand ab und warf sich förmlich auf ihren Mann.
»Beruhige dich, Amelia!«, blaffte Harry, der ihre Hysterie nicht ertragen konnte. »Schaff sie fort, Lavinia!«
Die fünf Männer trugen Oliver ins Haus und die Treppe hinauf, während Amelia jammerte. Harry trat die Tür zum Schlafzimmer auf, und sie legten seinen Bruder auf das große Himmelbett. »Haben Sie einen Arzt rufen lassen?«, fragte er Niall, während Gertrude still das Zepter in die Hand nahm und Olivers Kragen lockerte.
»Ich habe einen Laufburschen zum Krankenhaus geschickt. Er dürfte bald hier sein.«
»Besser wäre gewesen, wenn Sie ihn gleich dorthin gebracht hätten«, murrte Harry. »Sein Zustand gefällt mir ganz und gar nicht.« Er wischte sich den Regen aus dem Gesicht.
»Oliver, Oliver, mein Liebster, was ist passiert?« Amelias Gesicht war kreidebleich und tränenüberströmt, als sie ins Zimmer stürzte, Gertrude beiseitestieß und sich auf die ruhende Gestalt warf. »Sprich mit mir, Oliver! Sag mir, was los ist!«
Harry zog sie hoch und hielt sie fest, als sie sich zur Wehr setzte. »Ich glaube, er hatte einen Anfall«, sagte er gelassener, als ihm zumute war. »Wenn du dich auf ihn wirfst, ist das keine Hilfe. Amelia, du musst ruhig bleiben. Nimm ihm nicht die Luft, und lass Gertrude sich um ihn kümmern, bis der Arzt kommt.«
»Er wird sterben!«, klagte sie. »Ich weiß es einfach.«
»Nein, du weißt es nicht«, versetzte er streng. »Hör auf damit, Amelia!«
Ihre blauen Augen weiteten sich bei seinem Tonfall, doch anscheinend hatte er sie beruhigt.
»Papa?«
Harry wirbelte herum, sah die beiden verängstigten Jungen ander Tür und stieß Amelia in Lavinias Arme. »Hol sie aus den nassen Sachen, und halte sie ruhig!«, befahl er. »Ich kümmere mich um die Jungen.« Er zog sie über den Flur in Charlies Zimmer.
»Ist Papa tot?« Freddys Stimme klang ganz dünn. Verwirrung und Angst standen ihm ins Gesicht geschrieben.
Harry legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Nein, aber er ist sehr krank, daher möchte ich, dass ihr beiden tapfer seid.« Er sah, wie das kleine Gesicht erbleichte, und der Junge tat ihm leid. »Komm, Freddy«, schmeichelte er. »Dein Vater ist ein starker Mann – er wird das überstehen, da bin ich mir sicher.«
»Versprichst du es?«
Harry wusste, er konnte nicht lügen, doch die Wahrheit war so schmerzhaft, dass er kaum sprechen konnte. »Ich … Ich … kann nur darum beten«, gab er zu.
»Meinst du, der Arzt kann ihn wieder gesund machen?« Hoffnung sprach aus seinen Augen.
»Ich weiß nicht, Freddy. Wir können nur
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