Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Legenden der Traumzeit Roman

Legenden der Traumzeit Roman

Titel: Legenden der Traumzeit Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
abwarten.« Harry verstummte. Wie sollte er Worte des Trostes für einen kleinen Jungen finden, wenn seine eigenen Ängste in ihm wüteten? Es war unmöglich.
    Sie saßen noch in unbehaglichem Schweigen zusammen, als Lavinia sich durch das Rauschen ihrer Röcke ankündigte. »Du wirst drüben gebraucht, Harry«, murmelte sie. »Ich übernehme hier.«
    Harry suchte nach einem positiven Zeichen, dass sein Bruder es tatsächlich schaffen würde, doch er sah nur Anspannung in ihren verhärmten Zügen und hängende Schultern. »Und Amelia?«
    »Ich habe ihr Laudanum gegeben und sie ins Bett gesteckt. Sie wird den ganzen Nachmittag schlafen.«
    Harry warf den beiden Jungen ein tröstliches Lächeln zu, wünschte, er hätte mehr tun können, um ihre Ängste zu lindern, und überließ sie Lavinias zärtlicherer Obhut.
    Olivers großes Schlafzimmer hatte bereits die Aura einesKrankenzimmers angenommen; die Fensterläden waren geschlossen, das Licht flackerte gedämpft. Im Kamin brannte ein Feuer, doch es konnte die düstere Stimmung nicht vertreiben. Niall und der Arzt unterhielten sich neben dem Bett, während Gertrude ein kühlendes Tuch auf die fiebrige Stirn und Olivers grausam verzerrtes Gesicht legte. Harry fiel auf, dass das schreckliche Zucken aufgehört hatte, doch sein Bruder lag auf dem Rücken und war besorgniserregend ruhig, während die Blutegel auf seiner Brust allmählich mit seinem Blut anschwollen.
    »Sir Harry.« Der Doktor machte eine tiefe Verbeugung.
    »Wie geht es ihm?« Harry hatte keine Zeit für Förmlichkeiten.
    Der feiste kleine Mann spitzte die Lippen, zog die geschwungenen Augenbrauen zusammen und nahm eine feierliche Haltung an. »Tut mir leid, Sir, Ihr Bruder hatte einen Krampfanfall.«
    »Das habe ich mir schon gedacht«, fuhr Harry ihn an. »Was für einen Anfall?«
    »Einen Anfall im Gehirn, Sir – deshalb ist sein Gesicht auf einer Seite herabgezogen, und seine rechten Gliedmaßen sind betroffen.« Seufzend strich er über seinen Schnurrbart. »Wir werden erst wissen, wie schwer der Anfall war, wenn er aus seiner Benommenheit erwacht, aber ich vermute, er wird ein gewisses Maß an Lähmungen zurückbehalten und vielleicht Schwierigkeiten beim Sprechen haben.«
    »Wird er wieder gesund?«
    Die zarte, bleiche Hand wedelte durch die Luft. »Wir können nur die Blutegel ansetzen und hoffen, dass sie das Blut verdünnen, das in seinem Gehirn geronnen ist«, erwiderte er. »Manche Patienten erholen sich vollständig, bei anderen hingegen bleiben dauerhafte Behinderungen zurück. Das hängt alles vom Erfolg des Aderlasses ab.«
    »Besteht die Wahrscheinlichkeit weiterer Anfälle?« Harry schaute auf seinen Bruder. Oliver wirkte plötzlich alt und verschrumpelt in dem großen Bett. Von dem Mann, der früher Vitalität und Kraft ausgestrahlt hatte, war jetzt nur noch das laute Atmen zu hören. Hinter der grotesken Maske dieses Gesichts war sein Bruder nicht mehr wiederzuerkennen.
    »So ist es«, sagte der Arzt bekümmert. »Man muss ihn in den kommenden Wochen aufs Sorgfältigste beobachten, und obwohl ich jeden Tag nach ihm schauen werde, braucht er eine Krankenschwester, die bei ihm bleibt. Er braucht ab sofort fachgerechte Betreuung.«
    »Ich bin bestens geeignet, mich um meinen Bruder zu kümmern«, schaltete Gertrude sich ein.
    »Natürlich«, besänftigte Harry sie. »Aber du kannst es nicht allein.« Er wandte sich wieder an den Arzt. »Bitte, lassen Sie so schnell wie möglich eine Krankenschwester kommen. Wir haben genug Platz, sie unterzubringen.«
    »Es wird eine Vergütung …« Der Arzt wirkte verlegen.
    »Selbstverständlich«, krächzte Harry. »Schicken Sie mir die Rechnungen!«
    Als der Arzt ging, wandte Harry sich an Niall. »Wir müssen miteinander reden«, sagte er ruhig. Sie gingen wieder hinunter, und Harry bestellte frischen Tee für sich und einen Whisky für Niall. »Was war der Auslöser?«, fragte er, nachdem sie sich gesetzt hatten.
    »Die Sydney Railway Company ist bankrott«, sagte der Ältere und trank einen Schluck Whisky. »Ich kann nicht sagen, dass es überraschend kam; die Möglichkeit bestand immer, wenn man bedenkt, wie planlos sie vorgegangen sind.«
    Der singende Tonfall des Iren erfüllte den Raum, und Harry entdeckte eine leichte Missbilligung in den blauen Augen. »Sie müssen erleichtert sein, dass Sie unbeschadet davongekommen sind«, bemerkte er, schärfer als beabsichtigt.
    Niall schüttelte den Kopf. »Ich finde keinen Gefallen am Niedergang eines

Weitere Kostenlose Bücher