Lehmann, Christine
Einschränku n gen.«
Ich lächelte böse zurück. »Es gibt sowieso nur niedere Beweggründe, Frau Richterin. Sie haben Ihre Kinder doch auch nicht wegen der Rentenkasse bekommen!«
Sonja Depper leerte das Weinglas, wischte sich Schweiß von der Stirn und sah plötzlich mädchenhaft aus. Richard hielt hartnäckig den Blick auf seine kurzen kräftigen Finger gesenkt, atmete aber auch nicht mehr ruhig. Ein Anflug von Scham streifte mich.
Da sie von Richard keine Hilfe bekam, zwang Depper ihre grauen Augen, mich die Nadelstreifenweste hinab zu mustern, und startete ihren Angriff: »Und Sie, Frau Nerz, Sie spielen hier also die Dragqueen.«
»Dragqueens sind die Männer, dressed as a girl«, e r klärte ich.
»Wie nennt man das dann? Transvestit? Oder heißt das bei Frauen anders?«
»Keine Ahnung. Bei mir heißt das Lisa Nerz.«
»Sie haben ein Problem mit Ihrer Weiblichkeit, Frau Nerz.«
Als sich unsere Blicke trafen, war der Grundstein für tiefen Hass gelegt. In mir häuften sich niedere Bewe g gründe für einen sinnlosen Mord.
»Ich bin jedenfalls gern Frau!« Sie warf Richard einen schnellen Blick zu.
Aber auch dazu sagte er nichts.
»Als Frau hat man auch viele Vorteile.«
»So, welche denn?«, fragte ich.
Richard zog eine Zigarette aus der Schachtel. »Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen würden?«
Auf knisternden italienischen Ledersohlen flüchtete er vors Lokal.
»Habe ich was Falsches gesagt?«, fragte Sonja.
»Ist das wichtig?«, fragte ich zurück. »Entscheidet er über Ihre Karriere? Oder haben Sie sich in ihn ve r knallt?«
»Ihre Raubeinigkeit können Sie sich sparen, Frau Nerz. Das beeindruckt mich nicht.«
»Womit könnte ich Sie denn beeindrucken?«
Der betrunkene Blick der Richterin eierte über mein Gesicht. »Wollen Sie mich anmachen? Sind Sie so e i ne?«
Ich lachte.
»Dann ist ja gut.« Sonja Depper angelte nach ihrer Handtasche, legte den Geldbeutel auf den Tisch und schaute sich nach Sally um. Sie zog auch schon mal den Schal aus dem Ärmel ihrer Jacke, faltete ihn halb und schlang die beiden Enden durch die Schlaufe, so dass nach Art moderner Karrieredamen der Bollen auf ihrer Brust zu liegen kam. Man hätte nur an den Schalenden ziehen müssen, damit sich die Schlinge zuzog und sie strangulierte.
»Übrigens«, lockte ich. »Falls Sie wissen wollen, w a rum Herr Weber genau jetzt eine rauchen gegangen ist …«
»Bestimmt nicht!«
»Er möchte nicht Zeuge der Wette sein, die ich Ihnen vorschlage.«
»Was für eine Wette?«
»Ich beweise Ihnen, dass Ihre Freundin Annemarie Hellewart vom Jugendamt aus niederen Beweggründen handelt.«
Der beschwipste Blick der Richterin rutschte von me i nem Gesicht ab und glitt über den Tisch. Sie sank über ihrer Handtasche zusammen und schüttelte den Kopf.
»Alternativ dazu beweise ich Ihnen, dass es im Inte r net Kinder zu kaufen gibt. Was ist Ihnen lieber? Sie dü r fen wählen.«
Sonja Depper zog fröstelnd die Schultern hoch. »Wi s sen Sie, wie mir das hier vorkommt? Als müsste ich sta n te pede einen Pakt mit dem Teufel schließen.«
3
»Stante pede!« Aus welchen Mottenkisten hoben Juristen ihren Wortschatz? »Stehenden Fußes«, verriet mir das Internet.
Richard hatte angeboten, sie nach Hause zu fahren – »Liststraße, das liegt auf meinem Weg« –, und ich hatte mich auf mein Fahrrad geschwungen und war in die a n dere Richtung geradelt. Die Dezemberkälte hatte mir in die Ohren gebissen und mir geholfen, wieder runterz u kommen. Noch zwei Minuten länger, und ich hätte die Richterin umgebracht, und zwar ohne zu wissen, aus welchen Gründen. Was hatte mich nur dermaßen aufg e regt? Diese eigenartige Unempfindlichkeit? Dieses Rechthaben, der urteilende Ton? Und so was war Richt e rin. Ich zitterte immer noch.
Das weltweite Netz nahm mich freundlich auf. Ein Kind war schnell gefunden. Da gab es Eltern in Hoyer s werda, die bei Ebay ihre Kinder angeboten hatten, alle r dings nicht zum Kauf, sondern zum tageweise Mieten. Der Staatsanwalt ermittelte nun in Richtung Kinderha n del. Und es gab eine Siebzehnjährige, die bald niede r kommen würde und sich in einem Forum erkundigte, ob es eine Möglichkeit gab, das Kind wegzugeben, ohne es an die Anonymität einer Adoption zu verlieren.
Gab es, nämlich die sogenannte offene Adoption.
Gegen elf schlüsselte sich Richard in meine Wohnung. Cipión sauste unter dem Heizkörper hervor, rannte mit fliegenden Schlappohren zur Tür und warf sich in maßlos
Weitere Kostenlose Bücher