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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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erschrocken, dass er nicht einmal brüllte.
    »Lassen Sie meinen Bruder los«, kreischte Katarina. »Sie tun ihm weh!« Sie sprang vor, mit erhobener Faust.
    »Katarina!«, schrie die Mutter gellend.
    Die Grauhaarige stellte sich schützend vor ihre Koll e gin. Es gab ein kurzes Gerangel.
    »He!«, rief ich.
    Cipión knurrte. Er mochte Handgemenge nicht.
    Alle Augen richteten sich auf den kleinen Rauhaa r da ckel mit dem borstigen Schlappohrgesicht und der steil erhobenen Rute. Cipión war schätzungsweise zwei Jahre alt und bereit, die Verantwortung des Rudelführers zu übernehmen.
    »Schaffen Sie den Hund hier raus!«, herrschte mich die Frau an, die den Flur blockierte. »Und gehen Sie!«
    »Nicht, bevor Sie sich ausgewiesen haben.«
    »Wir müssen uns Ihnen gegenüber nicht ausweisen!«, belehrte mich die Grauhaarige.
    »Dann hole ich eben die Polizei! Für mich sieht das hier nach Indianerüberfall vor Morgengrauen und nach Kindsraub aus.«
    »Die Polizei wird Ihnen nicht helfen!« Selbstsicherheit der Staatsmacht straffte die Stimme der Frau im Möhre n kleid.
    »Wie Sie wollen!«, antwortete ich lächelnd. »Es war mehr zu Ihrem Schutz gedacht. Denn ich gehöre zu den gewaltbereiten Personen. Aber vielleicht zieht ja Frau Habergeiß eine gewaltfreie Einigung vor.«
    Die Mutter nickte mit aufgerissenen Augen hinter di cken Brillengläsern.
    »Hier geht es nicht um eine Einigung«, belehrte mich die Dame. »Sie sollten sich nicht einmischen. Sie machen es der Familie nur noch schwerer.«
    Ein Zittern flutete mich. »Warum wollen Sie das Kind mitnehmen? Morgens um sechs?«
    »Das diskutiere ich mit Ihnen nicht. Verlassen Sie bi t te unverzüglich die Wohnung. Sonst hole ich die Pol i zei.«
    »Bleiben Sie hier!«, schrie die Tochter. »Helfen Sie uns!«
    Der Junge an der Hand der dritten Frau fing unvers e hens an zu röcheln und nach Luft zu schnappen.
    »Das Spray!«, rief Katarina und stürzte fort in den Raum, der vermutlich das Badezimmer war. Sekunden später kam sie mit einem Asthmaspray zurück. Doch wieder zerrte die Frau Tobi am Handgelenk zurück wie einen unartigen Hund. »He!«, kreischte das Mädchen. »Wenn er stirbt, sind Sie schuld!«
    »Gib mir das Spray!«, antwortete die Frau betont r u hig.
    Die Mutter wankte mit Neigung zur Ohnmacht. Kat a rina stampfte mit dem Fuß auf die Dielen und schleude r te, plötzlich grün vor Zorn, das Asthmaspray von sich. Es knallte der Frau, die Tobi am Arm hielt, gegen die Stirn, fiel zu Boden und schoss über die Dielen auf Cipión zu, der mit allen vieren in die Höhe sprang, und blieb vor meinen Füßen liegen.
    »Katarina!«, seufzte die Mutter tonlos. »Bitte!«
    Das Mädchen brach heulend zusammen und sank mit dem Rücken an der Wand zu Boden.
    Die Grauhaarige im Möhrenkleid warf mir einen Da-sehen-Sie-es-Blick zu. Der Junge pumpte angestrengt. Sein Atem ging pfeifend.
    Ich bückte mich, hob das Asthmaspray auf. »So, und Sie lassen jetzt den Jungen los, oder Sie haben eine A n zeige wegen Körperverletzung nach Paragraph 223 StGB am Hals.«
    Leichte Unsicherheit flackerte zwischen den drei Frauen. Der Paragraph war ein sehr einfacher, der immer galt, wenn es zu Gewalt kam, nur deshalb konnte ich ihn zitieren. Aber es machte Eindruck.
    »Außerdem können Sie morgen im Stuttgarter Anze i ger nachlesen«, fuhr ich fort, »dass bei einer Aktion des J u gendamts beinahe ein Kind gestorben wäre, weil Sie eine Hilfeleistung behindert haben. Wollen Sie das?«
    Ich kniete mich neben den röchelnden Knaben und setzte ihm das Spray an die Lippen. Er atmete routiniert ein, die Augen auf Cipión geheftet, der hundefreundlic h heranwedelte.
    »Darf ich ihn streicheln?«
    »Na klar.«
    Da endlich ließ die Frau seine Hand los.
    »Wie heißt er denn?«, fragte Tobi.
    » Cipión .«
    »Thippionn?«, sprach er mir nach.
    Ich gab ihm noch einen Hub aus der Flasche. Doch Tobi war schon ganz auf Cipión s Schlappohren, bärtige Sc hnauz e und raues Fell konzentriert und dachte nicht mehr ans Atemholen. Sein dünnes Handgelenk war krebsrot von der Zerrerei an der Hand der Frau vom J u gendamt. Seine Arme, sein Hals und sein Gesicht waren zudem von kleinen Wunden übersät. Vermutlich Neur o dermitis.
    Aus der Augenhöhe des Jungen, in der ich mich b e fand, wirkten die drei Damen vom Jugendamt groß, wuchtig und böse. Die Grauhaarige stand starr, als würde sie sich niemals zu einem Kind hinunterbeugen. Die Frau, die Tobi gehalten hatte, rieb sich die Stirn und warf

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