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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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Wirkungskreis auch eine geringere Ausdehnung besitzen und ich habe infolgede s sen viel später die Anziehungskraft ihres Zentrums g e spürt.« Reise zum Mond, Savinien Cyrano de Bergerac, 1649
     
    I m Mädchenpensionat brannte Licht. Das Bullauge war immer noch fest verschlossen. Yanqiu saß aufrecht auf dem Schemel, die Hände in den Schoß gelegt, die Augen weit offen. Sie öffnete den Mund, als Rhianna und ich eintraten.
    Ich erinnerte mich, dass Gail erklärt hatte, Yanqiu h a be in diesem Quartier die Mikros der Intercom ausgescha l tet, und sagte: »Wir sind nicht infiziert.«
    Die Chinesin lächelte, stand auf und fing an sich zu entkleiden. Ich bot Rhianna meine untere Koje an. Nach einem vergeblichen Versuch, in ihr Hochbett zu klettern, akzeptierte sie den Vorschlag und legte sich ächzend lang.
    »Brauchst du was gegen die Schmerzen?«, erkundigte ich mich.
    Sie versuchte zu verneinen, aber es gelang ihr nicht.
    »Ich hol dir was.«
    Yanqiu begann, sich die zerbrechlichen Glieder einz u cremen. Leider musste ich diese Nacht auf die Sinne n freuden des Zuschauens verzichten. Rhianna würde so l che Freuden bestimmt nicht zu würdigen wissen.
    Im zweiten Deck des spinalen Treppenhauses im Nutzlastbereich traf ich Zippora, die von unten herau f kam. Ihr grün beschatteter Blick forderte Rechtfertigung für meinen Gang durch die auf Nacht gepolte Artemis.
    »Rhianna braucht ein Schmerzmittel.«
    Zippora nickte, stieg mit schwerer Hüfte an mir vo r bei, drehte sich dann aber noch mal um. »Michelle?« Sie kam zwei Stufen wieder herunter und blieb eine über mir stehen.
    Ogottogott!, fiel mir ein. Ich hatte draußen das Schlimmste über sie gesagt, was eine Frau über eine a n dere sagen konnte: zu fett. »Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen.«
    Zippora lächelte leise. »Als die Gestapo meinen Onkel verhaftete – er war in der Resistance –, da hat er alle aus seiner Gruppe aufgezählt, von denen er wusste, dass sie sicher in der Schweiz oder in Großbritannien waren, und man ließ ihn wieder laufen. Sonst gäbe es mich nicht.«
    Na ja, ich hatte ja auch nur gesagt, dass sie mir zu fett sei. War sie übrigens nicht. Ich hätte mich nur nie an sie herangetraut.
    Zippora kam eine weitere Stufe herab. »Was ist e i gentlich los mit dir? Womit wirst du nicht fertig?«
    Unverhofft rollten mir Tränen aus den Augen. »Ich bin so müde! Ich habe nicht mehr richtig geschlafen seit …«
    Sie legte die Hand auf meinen Oberarm.
    Das taumelige Planetensystem in meinem Kopf stop p te, die Planeten und Monde sprangen zurück in ihre ellipt i schen Umlaufbahnen und es sprudelte aus mir heraus: »Ich hätte ihn nicht in den Hubschrauber steigen lassen dürfen. Wenn ich nur nicht so verstockt gewesen wäre, weil er … Ich bin einfach nicht mehr an ihn herang e kommen seit dem Tod seines Vaters. Nun ist es zu spät. Er kann mir den Vorwurf nicht mehr machen, den er mir hätte machen müssen.«
    »Welchen Vorwurf?«
    »Dass ich mich eingemischt habe, ohne dazu berufen zu sein. Aus Jux und Dollerei. Ich habe ihm seine G e heimnisse entrissen und an die Öffentlichkeit gezerrt. Er hat es einfach hingenommen, als sei es seine ihm aufe r legte Buße für … für was weiß ich. Er war Pietist. Gibt es das bei euch Juden auch: dieses Bedürfnis, sich zu b e strafen? Ich war seine Strafe.«
    »Ganz schön ungerecht, nicht?«
    »Wie?«
    »Keine schöne Rolle, die er dir da zugedacht hat. Aber vielleicht hat er es gar nicht so gesehen.«
    »Dann hätte er mir das ruhig einmal sagen können! Einmal! Vielleicht hätte ich seinen Tod verhindern kö n nen! Wäre ich nur nicht davongelaufen. Vielleicht hätte ich gemerkt, dass mit dem Hubschrauber etwas nicht stimmte …«
    »Wenn das der Hubschrauberpilot nicht merkt, dann merkt es keiner«, sagte die Aluf Mischna der israelischen Armee trocken.
    »Aber ich habe das bestimmte Gefühl gehabt, dass ich nicht mitfliegen dürfe. Meine innere Stimme hat mich gerettet, aber nicht die Kinder und Torstens Frau und ihn. Ich habe Richard in den Tod geschickt, um selber am Leben zu bleiben.«
    Zippora holte tief Luft. »Die meisten Menschen s u chen bei sich die Schuld, wenn sie einen nahestehenden Menschen verlieren.«
    »Es war sein Kindheitstraum, auf den Mond zu fli e gen, nicht meiner! Ist das nicht komisch?«
    Zippora legte den Arm um mich. Ich spürte ihre festen Brüste, ihre Rippen, die Härte ihrer Hüfte.
    »Was ist eigentlich passiert?« Es klang interessiert, wie man

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