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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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dem Horizont vor. Wollte ich da wirklich wieder hin? Meine Abende im Bohnenviertel von Stuttgart am Tr e sen vom Tauben Spitz mit Sally verbaseln, für Son n tagsausgaben den Geheimnissen der schwäbisch-alemannischen Na r rensprünge hinter die Masken ko m men, emsig Morde wittern, wo Unfälle und Schicksalsschläge dem erba r mungslosen Gevatter Tod Einlass verschafft hatten in irgendein Leben, das hinfort sinnlos war, so wie meines, und gelebt wurde wie Millionen andere.
    In glasigem Dunkelgrau strahlte die Mondwüste, von Schatten gefurcht, zerlöchert und gesprenkelt. Die Spi t zen jenseits des großen schwarzen Kraters hatten sich verkleinert und ihren Zusammenhang verloren. Der I n dustriepark hatte seinen Aufbau verändert, Hütten w a ren ins Licht gewachsen, Röhren im Schatten ve r schwunden. Der Massetreiber war nicht mehr zu sehen. Erst in 29,5 Tagen würde es wieder so aussehen wie gestern.
    »Ich muss dir was zeigen«, sagte Abdul, als ich mit dem Kaffee zu ihm trat. »Aber trink erst mal.«
    Der Kaffee glühte mir die Kehle hinunter in den M a gen. »Hast du was gefunden auf Torstens Speicherka r te?«
    »Die Dokumente und Berechnungen weisen tatsäc h lich seine Syntax auf. Aber die Erpressertexte sind nicht von ihm. Ihre Muster sind, wie Butcher schon gesagt hat, die eines Übersetzungsprogramms aus dem Mittleren Osten, in die ein paar Korrekturen eingearbeitet wurden. Sie sind vor etwa sechs Wochen auf die Karte kopiert worden, und zwar von einer Datenstation im payload Service deck, wo Torsten Veith arbeitete, vermutlich also von ihm selbst.«
    »Und warum?«
    »Vielleicht weil er sie in einem Papierkorb entdeckt hat. Fertig mit dem Kaffee? Ich will dir nämlich eigen t lich was anderes zeigen.«
    Er führte mich ein Deck tiefer in sein Quartier im zweiten US-Modul. Gonzo, Fred, Giovanni und Bob w a ren ausgeflogen. Auf dem Tisch unter dem halb offenen Bullauge stand Freds Laptop mit den Zahlenreihen der EKG-Protokolle auf dem Schirm.
    »Setz dich«, sagte der Pakistani und ergriff die Maus.
    Ich setzte mich auf den Schemel, während Abdul sich über den Tisch beugte und mit dem Cursor he r auspickte, was er mir erklärte. Man sah ihm nicht an, dass er die ganze Nacht am Bildschirm zugebracht ha t te.
    »Pass auf: Jede Uhr misst konstant den Puls, errechnet alle drei Minuten einen Durchschnittswert. Den sendet sie an Zeus. Ich habe mich gefragt, was jeder Einzelne getan und wie er sich gefühlt hat in den Stunden vor dem Ba g gerangriff auf dich. Gonzo beispielsweise hatte eine etwas angespannte, aber ruhige Zeit. 65, 64, 64, 65, 65 Schläge pro Minute. Er saß konzentriert an den Überw a chungsbil d schirmen der Teleskope. Fred dagegen muss gedöst h a ben.«
    Sein Puls dümpelte um die 40, frischte mal auf 43 auf und versackte dann wieder.
    »Eclipse und Mohamed haben sich die Zeit mit einem Spiel vertrieben. Eclipse hat verloren. Siehst du?«
    Der Puls des Südafrikaners war zeitweilig ziemlich in Wallung geraten.
    »Mohamed ist dagegen so ruhig, wie er äußerlich wirkt.« Abdul klickte die nächste Reihe auf den Schirm. »Und das ist Yanqiu. Sie hat zwei Stunden lang in der Ausgangsschleuse gearbeitet. Dann ist sie auf dem Qua r tier gewesen.«
    Ich erinnerte mich an Gails Maulschelle in Gegenwart der beiden nominellen Mondgöttinnen.
    »Schließlich hat sie euren Mondausflug vorbereitet, sie hat für dich einen Druckanzug bereitgelegt und die beiden Anzüge von Gail und Rhianna präpariert, Saue r stoffflaschen gefüllt, Funktionen überprüft und so weiter. Und jetzt schau dir das an.«
    Die Zahlen bewegten sich um die 67 Schläge pro M i nute.
    »Sie war körperlich aktiv, sie hat die Raumanzüge bewegt, die ihr mit der Muskulatur von mehr als einem halben Jahr hier oben tatsächlich schwer vorkommen müssen. Und jetzt schau mal. Was siehst du?«
    Ich sah Zahlen.
    Abdul las die Zahlen laut vor: »67, 66, 67, 68, 67, 66, 67, 68, 67 … Und so weiter. Es ist ein Muster. Die Ei n heit 67, 66, 67, 68 wiederholt sich immer wieder. Erst hier ändert sie sich. Es ist der Moment, wo die Intercom wieder funktionierte, nachdem der Bagger stehen gebli e ben war. Yanqiu ist gelaufen, schau: 77, 80, 85, 90, sogar 101. Und jetzt sieht man es auch. Erst jetzt hat sie ihre Uhr wieder angelegt.«
    »Yanqiu?«
    »Ich habe ihr gesamtes Protokoll gescannt, obgleich es verboten ist, und genau dieses Muster immer wieder g e funden. Yanqiu muss im dritten Monat ihres Aufenthalts hier oben eine Methode gefunden

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