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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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das Schwäbische Allgäu mit seinen Forsten, We i den und Kühen aufgehört zu existieren. Eine Rakete knallte über dem Wäldchen. Brennende Teile zogen Streifen in den blauen Himmel.
    Bis heute liegt mir der widerliche Geschmack nach Krankenhaus auf der Zunge. Ich hatte die Ohnmacht kommen gespürt. Sie stieg aus meiner Kehle empor, kühlte meine Luftröhre, näherte sich meinem Bewuss t sein mit eindeutigen Signalen der Unbesiegbarkeit, knockte mich aus. »Manche muss man halt zu ihrem Glück zwingen.« Dieser Satz ist mir wie ein Satz aus e i nem Traum gegenwärtig, aber ich kann die Menschen, die Räume und die Ereignisse nicht dingfest machen, die ihn umgaben. Ich war erst auf dem Weg zum Raumgle i ter wieder zur Besinnung gekommen. Mitten in der B e wegung, aufrecht wie ein Mensch, einen Fuß vor den anderen setzend und eine Bemerkung machend zu denen, die mich begleiteten.
    »Runter kommt man immer.«
    Offenbar hatte ich gewusst, wohin wir gingen. Ich ha t te mich nicht gewundert, dass wir das Flugfeld des Luft- und Raumfahrtbahnhofs Friedrichshafen überquerten, auf dem vor der Kulisse der Wälder das STS-214 stand, das Flugsystem aus Raumgleiter und Fährmodul, das erst knapp zwanzig Kilometer hoch über dem Bodensee seine Raketen zünden würde. Aber ich wusste nicht, wie ich zu diesen Kenntnissen gelangt war. Ich erinnerte mich nicht, wie ich auf die Füße gekommen war, auf denen ich ging. Womöglich war ich schon drei Tage in Bewegung gew e sen als menschliche Gestalt, redend, scherzend, geho r chend, den Arm entblößend, damit der Arzt mein Blut nehmen konnte, mich freimachend, mich ankleidend, auf dem Ergometer strampelnd fürs EKG, wie ein Automat, nie wach genug für die Erinnerungsarbeit des Bewuss t seins und einen Fluchtplan. Vermutlich fühlten Schi m pansen sich so beim Versuch, ihr Woher und Wohin zu reflektieren. Ihre neuronalen Verschaltungen reagierten auf Gummibärchen, ließen Kirschsaft stehen, wenn man ihnen Schimpansinnenärsche zeigte, erinnerten sich an Versprechen und erkannten sich im Spiegel, aber der Zeitraum, den irgendeine Art von Bewusstsein erhellte, reichte nicht länger als drei Tage. Alles davor und d a nach war Nacht.
    Drei Tage hatten sie mir geraubt. Niemals würde ich aus eigener Erinnerung überprüfen können, ob es stim m te, wenn mir diejenigen, die mich kontrolliert und g e lenkt hatten, versicherten, ich hätte weder jemanden e r mordet, noch sei ich vergewaltigt worden, und ich hätte mich einverstanden erklärt mit meiner Reise zum Mond.
    Ich würde es ihnen glauben müssen. Und ich würde sie immer hassen dafür.

60
     
    »Ich habe es satt! Ich habe den Wahnsinn satt! Denn Wahnsinn ist alles, was hier geschieht und was seit W o chen geschehen ist.« Frau im Mond, Thea von Harbou, 1928
     
    Ich richtete Wims ungeladene Pistole auf Zippora, g e nau zwischen die schwarzen Brauen, die über der Nasenwu r zel zusammenwachsen wollten. »Und jetzt b e zahlst du mit deinem Leben für Richards.«
    Sie richtete sich auf, reckte den Hals, fixierte mich mit großen schwarzen Augen in grünen Kratern.
    »Und für Susannes und das ihrer Kinder und für das von Michel Ardan und für Torsten Veith.«
    Im Augenwinkel sah ich, wie sich Artjom blitzschnell unter den Sweater griff. Aber er musste erst entsichern. Ich setzte ihm Wims Pistole direkt an die Schläfe, nahm ihm seine Pistole weg und entsicherte sie.
    »Danke, Artjom. Jetzt habe ich wenigstens eine gel a dene Waffe.«
    Wim fuhr sich etwas hektisch durchs schüttere Haar. Ja, hätte er nur mal eher gesagt, dass die Pistole in me i ner Hand seine war und demzufolge nicht geladen. Ich legte sie auf den Boden.
    »Hör mal, Cyborg, Baby!«, ließ sich hinter mir in ve r trautem Blubberamerikanisch Gails Stimme vernehmen. »Das bringt doch nichts. Du kommst hier nicht lebend raus.«
    »Wer sagt denn, dass ich das will?«
    »Was willst du dann?«, fragte Zippora scharf.
    »Rache! Genugtuung.«
    »Und wenn ich dir versichere, dass … dass dein R i chard Weber gar nicht tot ist!«
    »Du hattest heute Nacht Gelegenheit, mir das zu s a gen. Warum erst jetzt unter dem Eindruck von dem hier?« Ich wackelte mit der Pistole.
    »Leg die Waffe weg, und ich werde dir alles erkl ä ren.«
    Ich drückte ab.
    Von sieben Glasflächen knallte das Echo auf uns z u rück. Weibliches schrie gegen die Gewalt des Knalls an. Das Kästchen der Intercom hinter dem Kommandantu r tisch zerflog. Plastikteile, Kabel und Platinenscherben sch osse n

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