Lehmann, Christine
Kombüse.
Endlich konnte ich Yanqiu loslassen.
Sie rieb sich das Handgelenk und blickte mich wai d wund, vorwurfsvoll, stolz und wütend an. Auf einmal verstand ich, warum man seit jeher dafür sorgte, dass ein Verurteilter seinem Henker nicht ins Gesicht sehen kon n te.
»Hast du uns etwas mitzuteilen, Yanqiu?«, fragte Zi p pora hinter dem Kommandanturtisch hervor. Ihre Stimme klang knittrig.
Yanqiu schüttelte den Kopf.
»Sie hat Torsten Veith getötet«, sagte ich. »Sie ist ve r antwortlich für den Baggerangriff auf mich, sie wollte Rhianna töten, und sie hat eben versucht, uns alle und sich selbst zu vergiften, denn in ihrer Heimat erwartet sie für das, was sie getan hat, nicht nur die Todesstrafe, so n dern auch die totale öffentliche Entehrung. Sie ist zur Schande für sich und ihre Familie geworden.«
»Stimmt das?«, fragte Zippora. Niemals war mir ihr Mutterton verkehrter erschienen.
Yanqiu richtete ihre Mandelaugen ins unendliche All und erstarrte.
»Sie hat«, sagte ich, »ein Programm entwickelt, um die RFID-Protokolle zu fälschen. Es lief auch in der Nacht, als Torsten starb.«
»Ich habe meinem Land keine Schande gemacht«, sagte Yanqiu leise, aber bestimmt. »Ich habe immer nur meine Pflicht erfüllt.«
»Ja, du bist eine gute Taikonautin«, sagte ich. »Du kannst Rover fahren, du eignest dich zum Systemadmin. Du hast die Raumanzüge mitentwickelt. Täglich wäschst du sie und bereitest sie für ihre Einsätze vor. Aber nie hast du selbst auf dem EVA-Plan gestanden. Nie hast du den Rover gefahren. Stattdessen hast du die Spülmasch i ne ein- und ausgeräumt, das Essen aufgetragen, die Klos geputzt.«
Yanqius Blick blieb starr auf den so unwirklich nahen Mondhorizont geheftet.
»Und eines Tages kam Torsten Veith. Hat er deine Dienstbarkeit falsch verstanden, fühlte er sich selbst g e meint, wenn du alle bedient hast? Hat er sexuelle Dienste erwartet? Hat er dich bedrängt?«
Zippora rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl herum.
»Er hat dir was vorgeflüstert von einer Mondgöttin, die er in dir gefunden habe, die Frau, von der er träumte, seit er ein kleiner Junge war, eine Frau, sanft wie der Frühlingshauch einer Vollmondnacht, schön wie eine Elfe auf einer Waldlichtung, leicht und herb wie der N e bel im Herbst. Yanqiu, er wollte sich von seiner Frau trennen, er wollte sich scheiden lassen. Deinetwegen!«
»Quatsch!«, fuhr Rhianna plötzlich auf. »Das war meinetwegen. Mich wollte er heiraten. Ich war seine Mondgöttin!«
»Kinder, Kinder!«, stöhnte Morten.
Yanqiu zog ihren Blick aus der Unendlichkeit zurück und wandte ihre Mandelaugen langsam Rhianna zu. Zwei Tränen zogen je eine Spur auf ihren Wangen.
»Oje!«, seufzte Morten. »Eifersucht. Ganz simple E i fersucht. Das alte äffische Gefühl, der dümmste Grund zu töten und dennoch der häufigste. Tragisch!«
Krzysztof stand auf, durchquerte den Kuppelsaal und zentrierte Morten eine aufs Kinn. Der Däne fiel vom Stuhl und japste.
»So«, sagte der Pole. »Das hat jetzt sein müssen.«
Morten rappelte sich auf, rieb sich das Kinn und ve r suchte, spöttisch zu lächeln. Aber es interessierte eigen t lich keinen.
»Und als du erkanntest, dass Torsten sich Rhianna z u gewandt hatte, hast du beschlossen, ihn zu töten?«, fragte Zippora mit ungläubigem Entsetzen in der Stimme. »War es so, Yanqiu?«
Yanqiu richtete ihren Blick wieder ins All.
»Torsten musste ihr sagen, dass er rauswollte«, an t wortete ich an ihrer Stelle. »Jemand musste ihm in den Raumanzug helfen.«
Yanqiu wankte auf ihrem Stuhl. Tamara war schon halb aufgesprungen, aber die Chinesin fing sich wieder. Erbarmen, flehte ich in den Sternenhimmel hinauf. Wi e so musste ich sie hinrichten? Wieso durfte Kommandant Butcher sich hinter politischer Korrektheit und diplom a tischer Vorsicht verstecken?
»Sie hat ihre Uhr auf Auszeitmodus gestellt, damit niemand sah, was sie tat, sie hat Torsten in den Rau m an zug geholfen, den sie vorher so beschädigt hatte, dass er bei nächster Gelegenheit reißen musste. Als er draußen war, hat sie außerdem den Bagger gegen ihn geführt. Glückl i cherweise oder weil sie es so arrangiert hat, war der Zentralcomputer in diesen Stunden auf Remote- und Neustartmodus. War es so, Yanqiu?«
Sie schwieg starren Blicks.
»Und bei nächster Gelegenheit wolltest du Rhianna töten. Du hast vor unserer überstürzten EVA eine bein a he gesättigte Atemkalkpatrone in ihren Anzug gesteckt, damit sie allmählich an ihrem
Weitere Kostenlose Bücher