Lehmann, Christine
Zukunftssicherung notwendig sind.«
Wim hustete. »Nun ja. Wer nicht sucht, der nicht fi n det!«
»Na ja!«, lächelte Abdul und drehte sich zu dem Arzt um.
»Mit den Abermilliarden, die uns die Mondkolonisat i on kostet, könnten wir überall auf der Welt Dämme ba u en, um die Küsten vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen. Und Schulen, Krankenhäuser …«
»Aber dann«, sagte Wim, »geht die Welt an Überb e völkerung zugrunde! Und dann wäre es doch wieder gut gewesen, wir hätten Mond und Mars als Ausweichqua r tiere.«
»Und wieder werden nur die Reichen überleben«, antwortete Abdul ruhig.
58
»Die Sonne blendete und hatte einen bläulichen Schi m mer. Wenn man die Augen vor dem hellen Licht schüt z te, sah man Planeten und Sterne. Aber sie flimme r ten und leuchteten nicht, sondern glommen bläulich und glichen silbernen Nägeln an einer schwarzen Kuppel.« Auf dem Monde, Konstantin Ziolkowski, 1893
Wieder fiel mein Blick zuerst durch die sechseckige Deckenscheibe in den Sternenhimmel. Ob man sich j e mals daran gewöhnen würde, dass die Nacht bis zum H o rizont fiel und darunter Tag war? Musste ich allerdings auch nicht.
Gail schlürfte Kaffee, als sei sie nicht zwischendurch mal tot gewesen. Tamara und Yanqiu saßen bei ihr am Tisch am Fenster, der vierte Platz war frei, wie üblich.
»He, Gail, Darling! Willkommen unter den Lebe n den.«
Gails verheißungsvoll verschlafener Blick glitzerte kurz und triumphierend, dabei zog sie das Kinn ein und zuckte soldatisch mit den Schultern. Täglich einmal übe r leben: Astronautenroutine.
Die Cupola war gestopft voll. Am Tisch in der Mitte saßen Morten, Van Sung, Tupac und Giovanni. Me n schen, denen es nichts ausmachte, immer andere im R ü cken zu haben. Pjotr, Sergei, Krzysztof und Abdul hatten sich am anderen Fenstertisch zusammengefunden. Fred, Bob, Gonzo und Rhianna und, wie das fünfte Rad am Wagen, David drängten sich vor der Kombüse um den Tisch. E c lipse, Franco und Mohamed saßen am Aufgang wie die ewigen Außenseiter, der Stuhl von Rakesh Chaturv e di war frei geblieben. Und alle Blicke waren auf den sech s ten Tisch geheftet, an dem unter der Videowand die Gr o ßen Vier saßen: Butcher, Pilinenko, Wim und Zipp o ra.
Es fehlte keiner, nicht einmal derjenige, der im CC die red line- Bereiche hätte überwachen müssen. Dafür hatte David mit gewichtiger Miene einen Alarmpiepser auf dem Tisch vor sich liegen, dessen Anzeige er alle Minute in Augenschein nahm. Er hatte dann doch noch, eine M i nute vor Beginn, mit dem Gedudel von Radio High Moon zur Abschiedsfeier gerufen.
»Gentlemen«, sagte Butcher mit Tic unter dem linken Auge. »Wir verabschieden heute unsere Gäste, die mit dem STS-213 zur Erde zurückkehren. Ich hoffe, dass die nicht immer schönen Ereignisse der letzten Tage euch eher bestärkt haben in der Auffassung, dass wir hier oben als Pioniere der Menschheit einen notwendigen und wichtigen, aber nicht immer leichten Job tun.«
»Geschenkt«, murmelte Gail. »Die NASA wirtschaftet sowieso mit Gewinn, und wenn das alte Europa das nicht hinkriegt, dann ist es eben nicht dabei.«
Butcher dankte dem südafrikanischen Diamantmine n besitzer Eclipse, dem Saudi-Araber Mohamed und dem Petersburger Energie- und Medienmogul Pjotr für ihre Begeisterung, die sie sich etwas h a tten kosten lassen. »Unsere Mondtouristen sind es vor allem, welche die Begeisterung für den Menschheitstraum in alle Welt tr a gen.«
»Bla-bla-bla«, murmelte Gail in ihren Kaffee.
»Die ISS hätte längst dichtmachen müssen, wenn es den Weltraumtourismus nicht gäbe«, wisperte Tamara.
»Außerdem«, fuhr Butcher fort, »darf und will ich un seren seltsamsten Gast nicht unerwähnt lassen« – Gail runkste auf dem Tisch den Ellbogen gegen meinen Un te r arm –, »der bei uns für einiges Kopfzerbrechen g e sorgt hat, vor allem wegen seines unkonventionellen Verha l tens.«
»Danke, Commander!« Ich stand auf. »Ich bitte um die Erlaubnis, ein paar Worte zu sagen.«
Butchers Backe tickte. Nicht unbedingt ein Zeichen von Ärger oder Stress, wie ich inzwischen wusste. »Bitte sehr«, sagte er aufgeräumt. »Aber in unser aller Interesse möchte ich dich bitten, deine Rede auf eine Stunde zu beschränken.« Er lachte, zufrieden mit seinem Scherz, und setzte sich.
Doch ehe ich die Pistole ziehen und Luft holen kon n te, war Bob aufgestanden, groß und verlegen wie ein Tan z bär. »Also, Leute, ich muss euch was gestehen.«
Wim
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