Lehmann, Christine
eigenen Kohlendioxid e r stickt.«
»Stimmt«, rief Gail. »Ich hatte ja Rhiannas Anzug an, damit die Täuschung perfekt ist. Yanqiu, du verdammtes Schlitzauge!«
»Gail!«, rief Zippora tadelnd.
»Aber weil Yanqiu mir Greenhorn in den Raumanzug helfen musste, hat sie nicht mitbekommen, dass ihr eure Anzüge vertauscht hattet«, fuhr ich fort. »Sie hat es erst erkannt, als Gail halbtot hereingetragen wurde.«
»Und was sollte der Angriff auf dich?«, fragte Morten.
»Zwei Fliegen mit einer Klappe. Es sollte so aussehen, als wäre Rhianna, von Hass getrieben, mit dem Bagger auf Gail und mich losgegangen.«
»Wozu das denn?«
»Aus Eifersucht«, antwortete ich.
»Und wer sollte da jetzt auf wen eifersüchtig sein?«, fragte Morten begriffsstutzig nach.
»Rhianna auf Gail und mich, weil wir es miteinander treiben«, antwortete ich.
Rhianna schnaubte hörbar.
»Das hätte Yanqiu zumindest hinterher behaupten können.«
Pilinenko blickte angestrengt aus dem Fenster. Zipp o ra senkte den Blick. Wim grinste müde und alt. Auf den Gesichtern der übrigen Astronauten und Kosmonauten stand Ungläubigkeit. Tupac ratzte mit den Schneidezä h nen über seinen Unterlippenbart.
»Ich warne davor, jemanden zu verurteilen!«, sagte Morten reflexartig.
Yanqiu wendete langsam ihr Gesichtchen. Ihr dunkler Blick tauchte in meinen, und ihre Lippen formten zwei Worte, die ich zwar verstand, aber nicht begriff: »Thank you.«
61
»Mit dem rasenden, aufheulenden Gebrüll der losgela s senen Hölle hob sich das Weltraumschiff und riss sich los von der Wüste des Mondes.« Frau im Mond, Thea von Harbou, 1928
Vielleicht hätte ich meine Rückreise zur blauen Marmo r kugel, die von Stunde zu Stunde größer wurde, g e nießen können, aufgeregt wie ein Kind bei der Rückkehr vom Schulausflug, kurz bevor der Bus um die letzte Ecke bi e gen würde und man die Eltern am Straßenrand warten und winken sah, und vielleicht hätte ich sogar der Schwerelosigkeit etwas abgewinnen können, obgleich ich mich wieder fühlte, als stünde ich permanent auf dem Kopf, hätte ich nur nicht Yanqiu mit aller Macht davon abgehalten, sich das Gift, das uns allen zugedacht gew e sen war, von der Hand zu lecken.
Aber wäre ihr Tod eine Lösung gewesen?
Man hatte Yanqiu fürs Erste mit Handschellen, die ir gendein Pessimist der Standardausrüstung des Ko m mandanten beigefügt hatte, an das Treppengeländer der Cupola geschlossen. Bewacht wurde sie von Eclipse, M o hamed, Fred, Tupac und Van Sung. Die hohe Zahl der Bewacher aus unterschiedlichen Kulturkreisen hatte verhindern sollen, dass sich die Astronauten darauf ve r stä n digten, Yanqiu die Flucht in den Tod zu erlauben oder sie selbst hinzurichten.
Währenddessen hatte Abdul auf einem Laptop, der im outing port versteckt war, die Programme zum Manipuli e ren der RFID-Signale, eine Liste mit Türencodes, persö n lichen Passwörtern und dem Admincode gefunden. Mondstaub eignete sich überraschend gut, um Fingersp u ren zum Vorschein zu bringen. Yanqius Abdrücke befa n den sich sowohl auf diesem Laptop, wie auch an der Tür von Wims Giftschrank und auf einer Spritze, die Giovanni in einer Schublade des food stock gefunden hatte.
Mit ihr hätte sie, zumindest theoretisch, das Gift in die Safttüten spritzen können, bevor sie sie verteilte. Es g e lang Wim allerdings nicht, TTX in ihr nachzuweisen. Warum hätte sie so eine Tatwaffe auch aufheben sollen? Kaum irgendwo war es so einfach wie auf der Artemis, den kleinen Abfall auf Nimmerwiedersehen im Schre d der verschwinden zu lassen.
Die Downlinks und TDRS-Satelliten glühten. Eine Weile sah es so aus, als müsste unser Countdown a b gebrochen und der Start verschoben werden.
»Wenn sie mitfliegt, bleibe ich hier!«, hatte ich bei e i ner Besprechung im CC lauthals verkündet.
Butcher hatte sich jegliche Diskussion verbeten. Der nächste Flug wäre erst wieder in dreieinhalb Wochen gegangen.
»Und wie wollt ihr sie transportieren?«, hatte ich hys t e risch geschrien. »Gefesselt, an den Sitz gebunden? U n ter Drogen? Das ist gegen die Menschenwürde.«
»Sie hat uns alle ermorden wollen!«, sagte Butcher.
»Das muss erst mal ein ordentliches Gericht festste l len. Davon abgesehen, wer soll sie bewachen? Ich bin Journalist, Franco ist Politiker, Pjotr, Mohammed und Eclipse sind einfache Touristen. Wir sind keine Polizi s ten. Wie sollen wir verhindern, dass sie sich was antut? Oder dass sie die Raumfähre flugunfähig macht? Wer
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