Lehmann, Christine
garantiert uns, dass nicht einer von uns sie … sie kurze r hand tötet, und sei es nur aus Angst?«
Pilinenko hatte schon Luft geholt, aber Zippora bede u tete ihm zu schweigen. »Wovor hast du Angst?«, fragte sie. »Vor dem Tod?«
»Das klänge jetzt blöd, wenn ich Ja sagte, gell?«
Zippora unterdrückte ein Lächeln. »Oder möchtest du nur nichts zu tun haben mit den Konsequenzen deiner Aktion?«
Sie hatte recht. »Die Todesstrafe steht nicht in meinen Spielregeln. Das ist Barbarei!«
»In den USA gibt es auch die Todesstrafe«, schnarrte Leslie Butcher, »und wir sind gewiss kein unzivilisiertes Land.«
»Bei uns hat die letzte Hinrichtung 1996 stattgefu n den«, bemerkte Artjom Pilinenko zufrieden.
»Habt ihr hier nicht eine Arrestzelle«, wand ich mich, »wo Yanqiu so lange bleiben kann, bis eine für einen Gefangenentransport ausgestattete Fähre sie holen kommt?«
Hatte man nicht. In der Artemis gab es keinen ung e nutzten Raum. Und schon gar keinen, der nicht durch seine Gerätschaften, Versorgungsrohre und Kabel die Gefahr barg, dass Yanqiu sich erhängte oder sonst wie tötete.
»Und wer sollte sie bewachen?«, fragte Zippora. »Drei Wochen lang rund um die Uhr? Dafür werden Astrona u ten nicht bezahlt.«
»Okay, okay.«
Zippora lächelte äußerst zufrieden.
»Außerdem wird euch Abdul as-Sharif begleiten«, sagte Butcher . »Er kann die Fähre zur Not per Hand steuern.«
Aber nicht uns zur Beruhigung und um uns vor den Folgen von Sabotageakten zu schützen, die Yanqiu b e gehen mochte, auch nicht, um die immer noch nicht e r starrte Leiche von Rakesh Chaturvedi in seine Heimat zu begleiten, würde er mit uns zur Erde zurückkehren, so n dern weil man ihn wegen seines eigenen Sabotageakts zugunsten des Samadhi von Chaturvedi und unterlass e ner Hilfeleistung in Unehren aus den Diensten der inte r nationalen Raumfahrt entlassen hatte.
Und schnell musste unsere Rückkehr auch deshalb vonstattengehen , weil es zu verhindern galt, dass die Presse Zeit bekam, rund um den Globus die ethischen Fragen eines Gefangenentransports vom Mond zur Erde zu diskutieren und Menschenrechtsorganisationen Plak a te gegen die Todesstrafe entrollten. Oberpfaffenhofen traf schließlich nach Rücksprache mit dem Europäischen Raumfahrtzentrum in Darmstadt, das für das ESA-Modul und die europäischen Transporte zuständig war, die En t scheidung: Wim Wathelet würde Yanqiu sedieren und uns ebenfalls begleiten. Nach der Landung in Friedrich s hafen würde die Gefangene den deutschen Behörden übergeben werden.
Ich beruhigte mich halbwegs. Yanqius Anwalt würde ihr vermutlich raten, Asyl zu beantragen. Daraufhin wü r de China ihre Auslieferung fordern, und die deutschen B e hörden würden umständlich prüfen, ob ihr irgendeine Art von Verfolgung im eigenen Land drohte, die nichts mit Strafverfolgung zu tun hatte. Aufschub immerhin.
Aber ich wünschte, Wim hätte auch mich sediert. Oder nur mich und nicht sie, und sie hätte sich doch noch u m bringen können. Falls das eine Lösung war.
Ich konnte gar nicht so viel weggucken, wie ich hätte müssen, um nicht ständig Yanqius weißes Gesicht mit den meist geschlossenen Lidern gegen die Kopfstütze im Schalensitz gekippt vor Augen zu haben. Und immer fürchtete ich mich davor, dass sie die Augen aufschlug und mich, ihre Henkerin, erblickte.
Warum hatte sie sich eigentlich bei mir bedankt? Und hatte sie mir nicht nach dem Baggerangriff über die Wange gestrichen, erleichtert, dass mir nichts geschehen war? Hatte ich mich geirrt? Irrten wir uns alle? Weil wir nämlich alle Opfer waren des jeder Gruppe innewohne n den dringenden Bedürfnisses, schnell wieder einen fun k tionierenden Sündenbock zu haben. Alpha, Beta, Gamma und Omega waren immer besetzt im Weltraumspiel der NASA: Führer, Spezialist, Arbeiter und Sündenbock.
Aber hatte Yanqiu denn Torsten wirklich töten mü s sen? Zwingend! Und warum hatte sie uns alle zu vergi f ten versucht?
»Es gibt Beweise!«, versuchte Pjotr mich zu überze u gen. In der Enge der Fähre gab es kein Entkommen. »Die Programme auf ihrem Laptop, die Fingerabdrücke auf der Spritze.«
Was hätte Richard dazu gesagt? »Das sind Indizien, keine Beweise.«
»Es steht alles im Buch des Lebens verzeichnet«, sa g te Mohamed.
Hatten Chinesen auch Bücher des Lebens?
»Man nennt so was auch erweiterten Selbstmord«, er klärte Wim bei unserer x-ten Diskussionsrunde in der kosmischen Langeweile unseres Rücksturzes zur
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