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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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eine kleine schwarze Speicherkarte der Marke SamDisk mit Scharte im rotschwarzen Aufkleber in die Hand. Sie musste hinterm Spiegel geklemmt h a ben. Na bitte!
    In meinem Kopf bildete sich ohne mein Zutun die E r kenntnis: Auftrag erfüllt. Aber was für ein Auftrag? Was hatte man mir in den Tagen meiner Bewusstlosigkeit ins Hirn geschissen?
    Organisch erleichtert und mit der Speicherkarte in der Brusttasche meines Polohemds unter der Sweatjacke kehrte ich in die Schlafparzelle zurück. In einer Halt e rung an der Aborttür steckte die Hausordnung in sieben Sprachen, darunter Russisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch. Artikel 1: »Spare Wasser! Entl e dige dich überflüssiger Kleidung, ehe du ins Schwitzen kommst! Bewege dich langsam!«
    Mir brach unverzüglich der Schweiß aus. Aber die J a cke behielt ich doch lieber an, solange mein Geschlecht u n geklärt war.
    Artikel 2: »Halte Ordnung! Lass nichts liegen! Entfe r ne Verschmutzungen stets sofort.«
    Das eigenartige Parfüm von Zitronenöl mit einer Note Tomate stach mir in die Nase. Ein blauschwarzer Punkt flitzte die Türritze entlang. Eine Ameise? Oder hatte ich mich da verguckt?

8
     
    »(›jumpen‹ war natürlich gut: wir, ohne Bleischuhe – und Wer hatte die schon; die gab ’ s ja nur › draußen ‹ – hopsten ja wie die Affen rum, wenn wir unvorsichtig au f traten)« Kaff – auch Mare Crisium, Arno Schmidt, 1960
     
    Brontë schnurrte die Autobahn nach Friedrichshafen hi n unter. Cipión hatte sich auf dem Beifahrersitz zusa m mengerollt, und ich ließ mir mit den Stöpseln meines Walkmans im Ohr Kaff – auch Mare Crisium vorlesen. Man schrieb das Jahr 1980. Amerikaner und Russen ha t ten sich in Mondkrater gerettet, aber den Kalten Krieg mitgenommen, den sie nun mit Stegreifen Nationalepen austrugen, während unten die Erde verglühte. Hübsch, wie Jan Philipp Reemtsma es schaffte, der lautmaler i schen Orthografie von Arno Schmidt phonetisch Sinn zu geben:
    »(wenn man bloß mit der = ihrer Zeitrechnung etwas vertrauter wäre – die teilten ja den › Tag ‹ , (das heißt, die 14 › alten Tage ‹ , während deren die Sonne über unserm Scheiß = Horizont schtand) in › 100 Tschaß‹ ; die wieder in › 100 Minutas ‹ ; undsoweiter. Während wir mit di e sen verfluchten ›24 Schtundn‹ weiter murxtn –«
    In der Tat, der Mond brauchte 29,5 Tage, um die Erde zu umrunden. Dabei drehte er sich einmal um sich selbst. An seinem Äquator dauerte der helle Tag knapp 15 Er d tage. Danach herrschten knapp 15 Erdtage Finsternis.
    Genau deshalb saß die Artemis am Südpol auf einem sogenannten peak of eternal light, dem immer von der Sonne bestrahlten Rand des dreitausend Meter tiefen, wiederum ewig dunklen Kraters Shackleton, benannt nach einem britischen Polarforscher. Und sie war dorthin gebaut worden, weil man außerdem in den Nachtkratern, in die nie – nie, nie, nie! – die Sonne fiel, gefrorenes Wasser vermutete.
    In den Neunzigern hatte der Satellit Lunar Prospector an den Polen eine andere Reflexionskurve von Neutro ne n strahlen registriert. Daraufhin hatte die NASA in i h ren Labors mit Wasser im Sand gepanscht und festg e stellt, dass diese Kurve nur bei Wasserstoff entstand. Und Wa s serstoff band sich nun mal am besten an Sauerstoff. Wo das Wasser hergekommen sein könnte, war Spekul a tion. Reste von Meteoriten vielleicht, die aus Eis besta n den hatten. Blöd nur, dass später ein anderer Mondg u cker von der Erde aus solche Neutronenkurven auch dort g e sehen hatte, wo die Sonne draufbrezelte.
    Wie die Suche nach Wasser ausgegangen war, hatte ich beim Surfen im Netz nicht mitbekommen.
    »(Die › Kreislaufkranken ‹ «, las Reemtsma unaufhal t sam Arno Schmidt vor, »denen das Herz entlastet wurde, waren natürlich fein dran: blühten auf; genossen ihre J u gend ‹ .«
    Auf der Piste zwischen Schwarzwald und Schwäb i scher Alb stellte ich mir vor, wie der Zigarettenerbe Ende der Siebziger auf norddeutschem Plattland bei dem Dichter vorgesprochen hatte. Hatte seine Stimme gezi t tert, als er dem Dichter Geld anbot? Geld, das Schmidt, auch wenn er die Absicht durchschaute, hatte nehmen müssen, denn der Mäzen hatte ein schlagendes Argument parat gehabt: Die Summe entsprach genau dem, was der Lit e raturnobelpreis damals wert gewesen wäre: 350000 D-Mark. Zwei Jahre später war Arno Schmidt tot gew e sen. Schlaganfall. Gerade mal 65 Jahre war er alt gewo r den, ein Kriegsversehrter an Leib und Seele. Wohl de s

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