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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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halb handelte sein lunarer Alptraum von Hunger und Entbe h rung. Und hatte sich der spätgeborene Mäzen für Tage und Wochen hingesetzt, um genau das vorzulesen, weil auch er eines Tages urplötzlich aus seiner Welt g e rissen worden war? Gefangen als Geisel seines Geldes in einem Keller.
    In Hänge gebettet, breitete sich der Bodensee vor die noch schneebedeckten Alpengipfel ins Silberblau. Äpfel und Kirschen blühten in den warmen Frühling. Der we i ße Zeppelin NT mit dem picassohaft gemalten barbus i gen Weib auf dem Bauch hing über dem See.
    Torsten Veiths Witwe war konfus gewesen, als ich sie am Telefon gehabt hatte. Nein, keine Presse! Gestern hatte sie mich dann doch wieder angerufen und ein Tre f fen in Friedrichshafen vorgeschlagen. »Um vier im Ei s café Venedig an der Promenade. Das ist das an der Ecke am Tretboothafen. Woran erkenne ich Sie?«
    Hastig hatte ich einen Steckbrief formuliert: »Spor t lich, kurze Haare, schwarz gefärbt, Diamant im Ohr, Narben im Gesicht …« Den Dackel hatte ich nicht e r wähnt.
    Ich ließ Brontë im Parkhaus Altstadt zurück und trat in der Friedrichstraße an die Erdoberfläche. Konsum und Kopfsteinpflaster samt Straßenbächlein zwischen Nac h kriegshäusern. Vor dem Zeppelinmuseum turnten Kinder auf einem blechernen Zeppelinchen mit Gondel herum. Hinterm Museum schwappte Hafenwasser und legten die Fähren nach Konstanz, Bregenz und Romanshorn an und ab. Der Katamaran gurgelte gerade zur Rundfahrt rüc k wärts vom Anleger. Luft- und Seeschifffahrt waren sich selten so nah.
    Café s reihten sich lückenlos die Promenade entlang. Damen klirrten mit Löffeln in Kaffeetassen und drehten die Tortenteller, ehe sie zustachen. Ein Eis café Venedig gab es nicht, aber an der Ecke zum Tretboothafen befand sich das Eis café Venezia mit zahllosen Bistrotischchen und Blick auf die Schlosskirche mit ihren Zwillingszwi e bel türmen. »Was uns Heimat gibt«, stand im benachba r ten Restaurant auf den Sonnenschirmen der Allgäuer Brau e rei Meckatzer.
    Ich suchte mir einen Tisch unter den Arkaden, von dem aus ich beide Seiten des Lokals im Auge behalten konnte, und bestellte einen Kaffee. Außerdem war noch Zeit, aufs Klo zu gehen. Der Handtuchspender bemaß den Stoff so knapp, dass man sich beim Abtrocknen die Knöchel am Kasten blau schlug. Konnte die Weltrau m forschung nicht auch mal anständige Handtuchspender hervorbringen?
    Die Nachmittagssonne glitzerte auf den Frühsomme r wellen des Sees, dass es in den Augen schmerzte. Fähren, Tretboote und Segelschiffe dümpelten in Ufernähe. Wo l ken ballten sich über den Alpengipfeln. Ich nippte am Kaffee, rauchte eine Zigarette und spielte Spider Solitaire auf meinem Handy. An einem Tisch versuchte eine junge Mutter einen Kinderwagensäugling mit einem Schnuller still zu bekommen und ihr Eis zu löffeln. Der junge Mann tat so, als ginge ihm das Gebrüll seiner Ausgeburt nicht auf die Nerven.
    Ich hatte plötzlich ein ganz dummes Gefühl. Aber es las kein einsamer Herr an einem der Tische Zeitung n e ben einer Tasse erkaltetem Kaffee – auch der Gehei m dienst musste sparen, ein Cappuccino war sicherlich nicht drin. Auf der schmalen Promenade flanierten U r laubspaare in kurzen Hosen, Socken in Sandalen und luftigen T-Shirts. Sie waren entweder jung oder pensioniert. Kein trainie r ter Vierzigjähriger darunter, der an den Fahnenmasten mit den Farben von EU, Deutschland, B a den-Württemberg, Friedrichshafen, Österreich und der Schweiz lungerte, keine junge Frau in Jeans und Weste oder Sweater oder anderer Berufskleidung observiere n der Staatsmächte, die mit oder ohne MP3-Player und Stöpsel im Ohr auf einer Bank saß. Ich fuhr mit der Hand unter der Tischfläche entlang. Keine Wanze. Es hätte auch niemand vorhers e hen können, dass ich mich an di e sen von zwei Dutzend Tischen setzen würde, um mit Torsten Veiths Witwe zu sprechen.
    Auf der Fahrt war mir auch niemand gefolgt. Oder? Auf einer Autobahn kreisten ja immer dieselben zehn Autos umeinander. Mal überholte ich den Lastwagen vor dem BMW, dann wieder zog er auf der linken Spur an mir vorbei, weil ich nicht schnell genug hinter dem La s ter hervorgekommen war, gefolgt von einem Mercedes mit Lichthupe und einem viel zu schnellen Sprinter, die ich alsbald wieder einholte, wenn die Drängler sich zu einem Raserstau aufgeschaukelt hatten.
    Eine Frau – schlank, blond geföhnt, gut gekleidet – kam von den Wasserspielen her unter die Arkaden des Café s. Sie trug

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