Lehmann, Christine
Gesicht, dann seinen Namen und zuletzt den Geruch seines Rasierwassers nach Zeder und Zibet. Nur das Fragezeichen würde sich bis zum Schluss in meinem Hirn krümmen wie eine Na r be. Das dazugehörige Warum hätte ich vergessen.
Bevor es so weit kam, musste ich mit Sally Kontakt aufgenommen haben. Unbedingt! Es musste jetzt gut e i ne Woche her sein, dass ich aus meinem Handynetz und meiner Erinnerung verschwunden war. Irgendwo unten im Bodenseehinterland zwischen Fischreute, Wallmu s ried und Ratzenried irrte Cipión durch die Wälder, wurde vom Jäger erschossen oder fiel einer fürsorglichen Fam i lie in die Hände und hieß fortan Waldi oder Snoopi. Aber Sally war tough. Wenn er noch lebte, würde sie ihn fi n den. Dann musste wenigstens er nicht zum zweiten Mal neu anfangen. Erst vor zwei Jahren hatte ich ihn aus dem Todsburger Schacht geholt, und des Nachts auf meinem Schoß in Richards Limousine auf einer Straße über die Schwäbische Alb hatte er von mir seinen Namen em p fangen, nicht Berganza, wie Richard vorgeschlagen hatte, sondern Cipión , nach dem anderen der beiden spreche n den Hunde aus einer Fabel von Cervantes. [3]
10
»Nur die Ruhigsten, die Erfinderischsten, Ausdauernd s ten, junge und wenn möglich zölibatäre Wesen, kurz, Engel in einer menschlichen Haut.« Kos m ische Raketenzüge, Konstantin E. Ziolkowski, 1929
Ergeben stand der Rauhaardackel da und ließ sich von Torsten Veiths ungleichen Töchtern struppig streicheln. Der behelmte Sohn überlegte noch.
»Er heißt Cipión !«, lockte Juana. Die Zunge zischelte zwischen den Zähnchen heraus beim Th des Anfangs und die Stimme setzte sich aufs -ion am Schluss: Thippionn.
Der kleine Don Quijote stolperte über sein Schwert, denn mit dem Helm sah er seine Füße nicht.
»Nimm das Ding halt amal ab!«, sagte Susanne Veith kraf t los, und zu mir: »Er kommt nicht klar damit, dass sein Vater nicht mehr kommt. Als ich es den Kindern hab s a gen müssen, hat er den Helm gebastelt und aufgesetzt. Ich bin Astronaut wie der Papi. Das ist jedes Mal ein Theater, bis er den Helm aufd ’ Nacht absetzt. Und zur Schul will er au it. Er sagt, die lachen ihn aus, weil sein Vater kein guter Astronaut gewesen ist. Nur im Schwimmbad nimmt er das Ding ab. Also fahr ich daher ins Strandbad, solang das Wetter hebt.« Sie suchte nach Zigaretten in ihrem Gürtelbereich und drehte sich zum Café tisch um. »Ich hab Sie übrigens erst jetzt erkannt. Sie haben schon eine Weile da drüben gesessen. Aber ich hab gedacht … Irgendwie haben Sie sich anders b e schrieben gehabt. Mit Narben. Ich hab sonst ebbes g e dacht.« Sie grabschte die Zigaretten vom Tisch.
Ich nahm mir vor, meine Narben künftig unerwähnt zu lassen, auch wenn sie mir vom Spiegel ins Auge kratzten. Für die grobkörnige Hässlichkeit meines Gesichts gab es keine Entschuldigung mehr.
Wir setzten uns. Das Eis war in den Glasschalen g e schmolzen. Torsten Veiths Witwe zündelte. Der Lack auf ihren Fingernägeln blätterte schon seit ein paar Tagen. Trauerauflösung bei mühsamer Aufrechterhaltung der Familienroutine. Irgendwas blieb auf der Strecke.
»Angst hat man immer!«, redete sie und redete. »Aber passieren kann überall was. Auf der Autobahn, auf dem Zebrastreifen. Unsere Reisen nach Südamerika waren gefährlicher, hat Torsten immer gesagt. Wie haben Sie eigentlich meine Telefonnummer rausgefunden? Wir stehen it im Telefonbuch. Da haben zu viele Leut anger u fen und wissen wollen, wie man Astronaut wird.«
»Zufall«, sagte ich. »Sie stehen auf der Seite des R u pert-Neß-Gymnasiums in Wangen.«
»Ach, das Klassentreffen vor zwei Jahren!« Susanne zog an ihrer Zigarette und suchte mit großen Muttera u gen nach ihren Kindern, die zum Springbrunnen gezogen waren und sich amüsierten, weil Cipión versuchte, die kleinen Fo n tänen abzubeißen. Einige Meter vom Ufer entfernt düste die große Mutterfontäne aus dem See.
»Und was wollet Sie etz schreiben?«, fragte Torsten Veiths Witwe.
»Reine Recherche. Ich … äh … plane ein Buch über die Risiken der Raumfahrt.«
Sie blies den Lungenzug in den Himmel und stauchte die Zigarette in den Aschenbecher. »Und was wollen Sie da von mir wissen?«
Gute Frage. »Gab es irgendetwas … Ich meine …«
»Was komisch ist …« Susannes Augen waren ve r schwörerisch groß. »Bei uns ist eingebrochen worden, zwei Wochen vor Torstens Tod. Alle Computer weg, alle Datenträger. Die Polizei sagt, das sind Einbrecherbanden einer
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