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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nachtkrater
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auszurichten: den Fuß vorschieben, sich ein wenig nach vorn beugen wie ein Reiher kurz vor dem Stoß und dann den anderen Fuß heben, ohne sich groß mit den Zehen abzustoßen. Für den, der zu wippend ging, gab es umlaufende Seile an der Wand, die wie nachträglich hingepappt aussahen.
    Drei Kojen schienen belegt. In den Schrankwandf ä chern lagen, mehr oder minder ordentlich, Wäsche, S o cken, Digitalkameras, Hefte, Bücher, Rasierapparate, Wasc h beutel, Laptops, PDAs und iPods. In dem Fach, dessen Nummer zu meiner Koje passte, lagen, zusammengefa l tet, ein violetter Anzug mit dem Emblem der Artemis, zwei T-Shirts und Herrenunterhosen aus Wegwerfzell u lose. Wozu brauchte frau auch einen BH? Z u mal ich dem Papier nach ein Mann war: Dr. Michel Ardan aus Ma r seille. Vermutlich war es leichter, ein biologisches Sy s tem auszutauschen als einen Namen auf einer Liste des Raumfahrtbüros. Um Namen und Nationalit ä ten stritten sich Kommissionen, um Gesichter nicht.
    Verstohlen hatte ich mir in den Schritt gelangt, um mich zu vergewissern, dass meine Seele nicht die Beha u sung verwechselt hatte. Die Geste war eine der wenigen versprengten Bilder im Dunkel meiner Astronautenwe r dung. Die erste bewusste Erinnerung hatte ich an einen Gang. Ich steckte schon im Druckanzug, nur der Helm fehlte noch. Und mein Kopf dröhnte. Apathische Zufri e denheit hatte in den ersten Stunden der Aufwachphase in mir geherrscht. Identitäts- und wortlos hatte ich mich in den Schalensitz schnallen lassen. Erst kurz bevor der Raumgleiter in den Orbit eintrat, die Antriebe ausstellte und uns in den freien Fall der Umlaufbahn beförderte, der das Gefühl der Schwerelosigkeit auslöste, hatten mich mit Wucht die letzten irdischen Bilder aus der Zeit vor dem Filmriss und meiner Wandlung zu Michel Ardan überfallen: Ich hörte den Knall der Explosion nicht, ich sah nur die weiße Stichflamme. Wie Zeitlupe in gespen s tischer Stille.
    Zweimal war entschieden einmal zu viel! Schon me i nen ersten Mann hatte man mir ermordet. Da hatte ich wenigstens neben ihm im Auto gesessen und die Sche r ben der Windschutzscheibe mit meinem Gesicht und den Motorblock mit meinen Knien aufgefangen [2] . Aus me i nem Dorf am Albtrauf hatte man mich mit dem Hu b schrauber ins Hospital nach Stuttgart geflogen, wo Sally mir nach einem allergischen Schock das Leben rettete. Im Frauen café Sarah hatte ich anschließend meine ze r scherbelte Weiblichkeit neu def i niert. Die erste Leiche war mir vor die Füße gefallen. Seitdem hatte ich fremde Morde au f geklärt, nur um den einen an meinem Mann nicht unter die Lupe nehmen zu müssen. Nie wieder war ich eine Beziehung eingegangen. Zumindest keine, die ich so d e finiert hätte. Schon gar nicht zu einem Mann. Richard hatte u ndefiniert ble i ben müssen.
    Jeder wie er ’ s verdient!, hatte meine Mutter immer g e sagt. Aber warum hatte ich mich zweimal im Leben mit Männern paaren müssen, die anderen im Weg waren und beseitigt werden mussten! So was konnte nur Oma Scheible nicht erschüttern, den Hausdrachen meines H a bitats in der Neckarstraße, der die Mülltrennung und meinen Lebenswandel überwachte. Erst am Morgen me i nes Aufbruchs nach Friedrichshafen hatte sie mir im Treppenhaus erzählt, dass die Tochter der Base mütterl i cherseits im Hohenlohischen ihren zweiten Mann an den Krebs verloren hatte. »Bauchspeicheldrüse, exaktemang wie der erseht! Die isch au gschtraft!« Daran erinnerte ich mich immerhin.
    Und eine Gegenwartserinnerung schoss mir dringlich in den Darm. Das Leben wollte gelebt werden. Wach auf, Lisa Nerz! Hör auf zu jammern! Keiner will dich bestr a fen! Du bist dem großen Schicksal doch völlig egal. Fi n de gefälligst heraus, was hier wirklich läuft!
    Der Abort war neben der Tür im Zwickel der Module untergebracht. Beim Schließen der Tür sauste ein Gebl ä se los. Ich begrüßte die Rückkehr zur Schwerkraft. Wä h rend unseres Aufenthalts in der Schwerelosigkeit hatten wir uns aufs Absaugklo schnallen müssen. Und ja das Rohr treffen! Auch in der Artemis zentrierte leichter Unte r druck das Geschäft. Le i der gab es weder Wasserhahn noch Dusche. In den Fächern unterm Spiegel lagen Rei n i gungstücher, Esszahnpaste und Trockenhaarwaschmi t tel.
    Irgendeine körperhygienische Maßnahme hatte dem Spiegel viele weiße Pünktchen beschert, die mit fettiger Hand verwischt worden waren. Typisch Männer! Ich nahm ein Tüchlein und polierte. Auch die Kanten. Dabei fiel mir plötzlich

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