Lehmann, Christine
rote Hosen und eine dunkle Sonnenbrille, weshalb ich nicht sehen konnte, ob ihr Blick mich strei f te, als sie mit Toilettenmiene ins Café trat. Hoffentlich hatte sie sich nicht durch Cipións unerwartet dackelige Ge ge n wart abschrecken lassen.
An einem Chaostisch mit drei Kindern fiel ein Fant a glas um. Der Bub steckte in einer Ritterrüstung. Über den Kopf hatte er einen Topfhelm aus Pappe gestülpt, der nur die Augen freiließ, in der Hand schwang er ein Plasti k schwert. »Jetz ’ reichets aber, Luca!«, hörte ich die Mu t ter zischeln, eine Dicke mit qualmender Zigarette in Le g gins, die auf die Uhr sah, den Hals reckte und Au s schau hielt. Vermutlich nach einem Ehemann.
Ich dachte darüber nach, ob ich mir eine Zigarette a n stecken sollte. Aber die Dame in den roten Hosen konnte jeden Moment erscheinen, mit nassen Händen, weil das Handtuch im Spender zu knapp bemessen war.
Die drei Kinder vom Chaostisch rannten hinaus auf den Platz an den Fahnen. Ein Mädchen war weißblond, das andere kupferbraun mit schwarzen Haaren. Spatzen flatterten von Krümeln auf. Fast hätte ich die Dame übe r sehen, als sie aus dem Lokal kam. Sie setzte die Sonne n brille auf – für einen fast eingebildet kurzen Moment streiften mich ihre Augen – und ging sportlichen Schri t tes auf die Promenade hinaus.
Ich klemmte einen Fünf-Euro-Schein unter die Kaffe e tasse, nahm Cipión kurz und folgte ihr. Sie wandte sich am Tretboothafen in Richtung der Zwillingstürme der Schlosskirche, die Handtasche unter den Arm geklemmt, Sonne auf den Schultern einer cremefarbenen Marke n ja cke und auf den Rundungen eines Hinterns, der für eine Frau vielleicht eine Idee zu klein war. Doch die rote H o se warf genau die richtige Menge feurig lockerer Falten.
Da rannte mir das dunkelhäutige Mädchen vor die Beine. Für einen Moment sah ich Angstweiß in urwal d dunklen Augen. Die Kleine stolperte über Cipións Leine. Schlappohren flogen. Das Mädchen knallte auf die Ste i ne.
Die Schwalben erstarrten im Wind – dann schrie das Kind los.
Ich musste es aufstellen, um Cipións Leine zu befre i en. Erst dann hatte ich wieder Gelegenheit, die Promen a de entlangzublicken . Die Frau mit dem roten Hintern war verschwunden. Ich befürwortete kurz die Todesstrafe für Kinder.
Die dicke Mutter stürzte herbei und betupfte mit einer Serviette das Kinn der Kleinen, obgleich es keine Wunde zu betupfen gab. »Isch it schlimm, Juana. Lueg amol, der Hund. Der isch ganz lieb.«
Cipión wedelte mit der Rute. Allzu rasch verzieh er uns Menschen unsere Tölpelhaftigkeiten. Der Quell der Tränen versiegte sofort. »Darf ich ihn mal streicheln?«
»Frag ihn«, sagte ich. »Streck ihm die Hand hin. Schau, so.«
Cipión schnüffelte mit nasser Nase und klappte die Schlappohren vor. Juana lächelte. »Wie heißt er denn?«
» Cipión .«
»Sind Sie Lisa Nerz?«, hörte ich plötzlich jemanden mich von der Seite ansprechen.
Es gab nur eine Möglichkeit. Ich schaute in die alar m großen grauen Augen der Mutter. »Susanne Veith?«
9
»Ground control to Major Tom/ Your circuit ’ s dead, th e re ’ s something wrong./ Can you hear me, Major Tom?« Space Oddity, David Bowie, 1969
Meine Aufenthaltsdauer war nicht zur Sprache geko m men, als Tamara uns die Transponder-Uhren übe r reichte. Was hatte dieser Journalist aus Marseille, dessen Namen ich trug, eigentlich gesagt, wie lange sie dauern sollte, seine Journalistenreise zur Artemis? Hätte ich nur besser aufgepasst!
Oder war es die Bedingung, dass ich am Leben blieb: auf dem Mond alt werden als Langzeitversuch in Sachen Knochenschwund. In zwanzig Jahren würde ich, eing e schrumpelt und abgemagert zum Faktotum, jungen Ast r o nauten, Kosmonauten und Taikonauten hinterhersa b bern und Anekdoten erzählen aus den Zeiten, als die Ameisen die Station bedrohten und man Weltraumna h rung noch aus Instanttüten schnitt.
Den Knochenschwund hatten wir in zwanzig Jahren vermutlich in den Griff bekommen, aber Mondparkinson machte uns dann Probleme, eine neurologische Fehlen t wicklung des Dopaminsystems infolge der reduzierten Schwerkraft. Der Schüttellähmung würde man mit Ge n technik oder Hirnschrittmachern beizukommen gelernt haben, doch der Vergesslichkeit nicht. Dann würde ich im Reiherschritt durchs Habitat schlurfen und nicht mehr wissen, wie Vögel sangen, Autos klangen und die Stadt hieß, aus der ich kam. Lange vorher hätte ich den Obe r staatsanwalt vergessen, zuerst sein
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