Lehmann, Christine
Richard?«, feixte Gunter in die Lücke des Schweigens, die Jockei uns gewährte. »Wir geben dich als Franzosen aus.«
Richard schwieg gern, aber es verschlug ihm selten die Sprache. Doch dazu fiel ihm nichts ein.
»Macht das!«, rief ich. »Seit seiner Kindheit träumt er davon, im Mare Fecunditatis zu schwimmen.«
»Soso, haha!« Jockei hustete. »Die stillen Leide n schaften unseres braven Oberstaatsanwalts.«
»Ginge das denn so kurzfristig?«, hakte ich nach. »Muss man nicht monatelang trainieren?«
»Astronauten schon«, antwortete Gunter. »Die müssen vor allem Handgriffe lernen, damit sie die Technik im Schlaf beherrschen. Auch mit den Touristen trainiert man ein bisschen. Aber Hauptsache, die Grundgeschicklic h keit ist normal und man kann die Sprache, die auf der Station gesprochen wird. Als Kaninchen nützt man denen da oben immer, ich meine, für medizinische Tests. Die Artemis ist beinahe idiotensicher, es gibt Schwerkraft, man fliegt nicht unkontrolliert herum. Hauptsache, man fasst nichts an und tut, was die Offiziere sagen. Die Transportsysteme werden eh vom Boden aus gesteuert. Da muss kein Fluggast Hand anlegen. Und du bist ja fit, Richard. Die nächsten drei Tage wärst du natürlich mit ein paar medizinischen Untersuchungen beschäftigt.«
Richard versuchte zu lächeln. »Leider«, antwortete er mit gesenkten Lidern, »habe ich keinen Urlaub.«
Plötzlich tat er mir leid. Ich hätte es ihm so gegönnt! Angst hätte er vor seinem Mondflug nicht gehabt. Aber er traute sich nicht, sich auch nur zu wünschen, dass in unserer Neckerei das Körnchen einer realen Möglichkeit steckte. Zu sehr war sein Leben bestimmt von den Gre n zen seiner Existenz, die er sich mit so viel Selbstaufopf e rung hatte e r kämpfen müssen.
»Übrigens«, sagte er mit gespielter Gleichgültigkeit in der Stimme, »was ich dich fragen wollte, Gunter: Ich habe kurz vor seinem Tod noch mit Ardan gesprochen. Er hat angedeutet, dass es rund um die Mondmission Dinge gebe, die der Weltgemeinschaft nicht vorenthalten werden dürften.«
»Na, was wohl!« Gunter lachte. »Außerirdisches L e ben!«
Jockei hängte die Nase in den Kelch und schnaubte den Alkohol in seine Nüstern. »Und ihr wollt also mo r gen zum Flugplatzfest? Hubschrauber fliegen, hm?«
In Cecilie kam plötzlich Leben. Sie legte die Serviette beiseite und raffte die Röcke. »Kommen Sie, Frau Nerz. Ich würde Ihnen gern etwas zeigen. Das wird Sie intere s sieren als Journalistin.«
Ich hatte keine Wahl außer der, einen Aufstand zu ma chen und Richard die konspirative Herrenrunde zu ve r masseln.
Wir stiegen Steintreppen empor, Cecilie führte mich in eine Bibliothek mit Büchern in barocken Vitrinen. Sie vertauschte die Brillen und schlug auf dem Lesepult am Fenster, hinter dem die Nacht längst angebrochen war, ein Buch auf.
»Nostradamus«, sie ließ den Namen fallen wie einen Stein, »hat seine Prophezeiungen am Mondzyklus ausg e richtet. Können Sie rechnen?«
Ich holte Luft, aber …
»Seine Prophezeiungen erstrecken sich vom März 1555 bis ins Jahr 3797, also über 2242,8 Jahre. 942 Ve r se insgesamt. Ende des neunzehnten Jahrhunderts hat einer ausgerechnet, dass es 42 Verse auf hundert Jahre wären oder ein Vers auf knapp zweieinhalb Monate. Das ist ziemlich krumm, nicht wahr? Wenn man aber den Mondzyklus zugrunde legt, dann ergibt es Sinn. Ein Mondzyklus dauert 29,5 Tage. Teilt man die 819182,7 Tage, über die sich die Prophezeiungen des Nostradamus erstrecken, durch 29,5, so erhält man 27769 Mondzy k len. Teilt man die wiederum durch die Anzahl der Verse, 942, kommt man auf 29,47, was wiederum einem Mon d zyklus entspricht. Haben Sie das verstanden?«
»Doch, ja.«
»Wussten Sie, dass Nostradamus auch die Mondla n dung vorausgesagt hat? Schauen Sie! Vers IX/ 65: ›D e dans le coing de Luna viendra rendre, o ù sera prins & mis en terre estrange …‹ Können Sie Französisch?«
»So lala.«
» › Der Prinz steht in der Ecke des Mondes‹ und …«
»Moment! Mit meinem Französisch lese ich da: ›In die Ecke des Mondes wird er sich begeben, und wird g e fangen genommen und in ein fremdes Land gebracht oder so ähnlich. Da hat wohl jemand prins von prendre mit Prinz verwechselt.«
»Soso, nichts übrig für Esoterik?« Cecilie kicherte bis unter die Haarwurzeln. »Übrigens sagt Nostradamus auch voraus, dass im Jahr 2970 ein Komet mit dem Mond zusammenstoßen wird. Ein Steingürtel legt sich um die Erde. Sie wird unbewohnbar. Die
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