Lehmann, Christine
Atemmaske unters Kinn, schubste mich durch Morten, Franco, Eclipse, Mohamed und Gonzo und sprang die Treppe hinauf, nicht ohne über zwei Stufen zu stolpern.
Gail war bereits durchs Bodenloch ins zweite Sub en t stiegen. Ich holte sie am nächsten Aufgang ein und kniff sie in die Hinterbacke. Sie fuhr herum, schlug meine Hand weg und zischelte: »Mach das nie wieder!«
»Was denn?«
»Du untergräbst meine Autorität.«
»Wozu brauchst ’ n die?«
»Dich haben sie wohl aus dem Nonnenkloster geholt, Cyborg, Baby! Das hier ist eine Männerwelt. Wenn du Schwäche zeigst, dann fahren die Bobs und Freds mit dir Karussell, klar?«
»Nein.«
Ihre Brauen zuckten über müdem Augenaufschlag. »Glaub mir, ich habe mir den Respekt erkämpft. Also mach ihn mir nicht kaputt! Oder du lernst mich kennen, klar?«
Ich simulierte Zerknirschung und Gefolgschaft. Gails Hintern rotierte militärisch muskulös drei Stufen über mir, gänzlich unbewacht. Militäruniformen waren ja an sich ungeeignet, ein Hinterteil zu kaschieren, und der Artemis-Anzug nahm ebenfalls keinerlei Rücksicht. Ge neralitäten und Verteidigungsministerien hatte ve r mutlich auch anderes zu tun, als sich über die uniformelle Darstellung der Truppen-Hinterteile zu kümmern. Sie interessierten sich mehr für die Vorneverteidigung.
Gail öffnete die Schleusentür zum superlunaren Teil des Habitats, schob mich in den Schleusengang und schloss die Tür. »Maske auf!«, befahl sie und zog sich die Maske übers Gesicht. »Und ab jetzt gilt, Feind hört mit.«
»Wie?«
»Wir sind ab jetzt auf Intercom mit denen im CC.«
Sie entriegelte die nächste Tür. Eigentlich hätte es z i schen müssen, fand ich, zumindest hätten meine Ohren zufallen müssen. »Herrscht hier nicht Unterdruck?«
»Keine Angst, wir haben noch gut 900 Hektopascal. In einem Habitat kann man den Luftdruck sogar auf den Partialdruck von Sauerstoff senken, 220 Hektopascal. Bei den ersten Apollo-Missionen hat man immer reinen Sauerstoff geno m men. Bis beim Bodentest infolge eines Kurzschlusses die Kommandokapsel abgefackelt ist. So schnell hat man gar nicht gucken können, wie das ging. Drei Astronauten tot. Aber keine Angst, momentan h a ben wir hier nur etwas zu viel Kohlendioxid. Schätze, der Filter ist kaputt.«
Keine Frage, Gail war mir in diesen Dingen über. Aber meine Ohren hätten trotzdem zufallen müssen. Am kleinen Finger trug ich die Sauerstoffflasche für Sergei und folgte Gail durchs Gewinkel des Habitats. Mühelos nahmen wir drei bis vier Stufen auf einmal. Gail stieß die Tür des Russenquartiers auf, in dem ich erst vor zwei Stunden gewesen war, auch wenn mein Joint-Leck da r aus Äonen gemacht hatte.
»Hier ist niemand!«, sagte sie, mehr in die Mikrofone für die im CC als zu mir.
»Das mit den RFID-Uhren ist ja nicht so der Hit«, stellte ich fest. »Hätte die nicht sowieso Alarm schlagen müssen, wenn sie im HHR herumliegt?«
»Kommt darauf an, wo er sie hingelegt hat.« Gail trat hinaus ins zentrale Treppenhaus und öffnete die Tür zum japanischen Modul, in dem Morten, Van Sung und Tupac ihre Schlafstätten hatten. Auch leer.
»Übrigens, vor zwei Stunden habe ich den Inder noch in seinem Quartier gesehen«, sagte ich.
»Das kann nicht sein. Er ist seit elf draußen. Und man braucht wenigstens zwei Stunden, um einen Astrotouri s ten auf eine EVA vorzubereiten.« Gail zielte quer über die Plattform des spinalen Treppenhauses auf das dritte amerikanische Modul und stieß die Tür auf.
Rakesh Chaturvedi lag rücklings auf dem Boden, A r me und Beine ausgestreckt.
Gail schnappte nach Luft.
Ich hätte gar nicht am kalkweißen Hals nach dem Puls zu tasten brauchen, der Tod gab sich unmissverständlich zu erkennen.
32
»Das Schiff überflog die Nachtseite der Erde in etwas mehr als dreißig Minuten.« Erste Fahrt zum Mond, Wernher von Braun, 1961
Sonntagsglocken füllten den Morgen, als Richard den Wagen aus Ratzenried hinauslenkte. Die Limousine schlingerte, denn er versuchte während des Fahrens Or t schaften in seinen Navi einzugeben: Fischreute, Allewi n den, Sommersried, Wallmusried. Sie waren seinem Gerät allesamt unbekannt. Schließlich deutete er aufs Han d schuhfach. »Da muss eine Karte drin sein.«
Die Lade knallte Cipión , der im Fußraum saß, auf den Kopf. Ich kam mir vor wie eine altgediente Ehefrau kurz vor dem Urlaubskrach. Die Nacht im Schloss war frus t rierend gewesen: Gunters lärmende Vorfreude auf den Segeltörn mit
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