Lehmann, Sebastian
Schlafengehen zu lesen.« Ich winke dem Barkeeper zu und bestelle noch zwei Bier-Bier.
»Ein paar Seiten Vampire, und die Welt ist wieder in Ordnung.«
Eigentlich dachte ich, Christinas Welt wäre auch so schon in Ordnung. Aber was weiß ich schon von ihr?
»Endlich braucht man mal nicht viel nachzudenken, sondern kann sich einfach in die blöde Geschichte versenken.«
»Ich bin auch ein großer Fan von Dan Brown«, sagt Christina.
»Seine Bücher kann man aber leider nur einmal lesen.«
Der Barkeeper stellt zwei neue Bier vor uns auf den Tisch. Christina nimmt sofort einen großen Schluck, ohne mit mir anzustoßen. Das finde ich sehr angenehm. Es gibt ja nichts Schlimmeres als dieses zwanghafte Anstoßen, Trinksprüche reißen und »Wohl bekomm’s!«-Rufen.
»Aber nichts ist so gut wie Vampire.« Christina lächelt mich wieder an, und für eine Sekunde habe ich das Gefühl, dass das jetzt ihr echtes Lächeln ist, nicht das postnatürliche. Und das sind sicher auch keine Kontaktlinsen. »Weißt du, ich habe dich da im Club schon länger beobachtet«, sagt sie.
Beinahe hätte ich gefragt, warum denn, berühre aber nur ihre Hände auf dem Tisch.
»In einer Hollywood-Liebeskomödie würde jetzt, nach dem ersten romantischen Kennenlerndialog des Pärchens, eine Montage eingefügt werden, und man sähe die beiden dabei, wie sie erst ein Glas Rotwein trinken, dann zur Musik aus einer alten Jukebox engumschlungen, aber ein wenig hilflos tanzen und sich schließlich, wieder am Tisch sitzend, tief in die Augen schauen.« Christina hält kurz inne und nimmt noch einen langen Schluck aus der Bierflasche, die tatsächlich schon wieder leer ist. »Und vielleicht würde sie sich dann nach vorn beugen – nie er, er ist viel zu schüchtern und verplant, kein Robert Pattinson, eher so der John-Cusack-in-High-Fidelity-Typ – und ihn küssen.«
Sie beugt sich nach vorn, ich tauche in ihre Sepia-Aura ein, und wir küssen uns. Sie schmeckt so, wie sie riecht. Wir küssen uns gleich noch einmal, und dann halte ich es nicht aus, ich muss es einfach sagen: »Nicht beißen!«
Christina lacht. Und für diesen kurzen Augenblick bin ich glücklich, einfach nur, weil ich sie ansehe (und natürlich weil sie über meinen Witz lacht und mich gerade mit John Cusack verglichen hat). Glücklich. Das habe ich schon lange nicht mehr gedacht, und gleichzeitig finde ich das auch unfassbar kitschig – in meinem Alter. Mit über dreißig. Na ja. So was hört wohl nie auf.
»Aber wenn das hier wirklich eine Hollywood-Liebeskomödie wäre«, fährt sie fort, »würde man das Pärchen vielleicht noch auf dem gemeinsamen Heimweg sehen, zu seiner oder ihrer Wohnung.« Sie winkt dem Barkeeper und sagt, dass wir zahlen wollen. »Vor dem Sex würde allerdings ausgeblendet werden, und das nächste Bild würde die beiden erst wieder am folgenden Morgen zusammen im Bett zeigen.« Sie steht auf und wirft ihren Stoffbeutel über die Schulter. »Und das wäre doch irgendwie schade.«
5
Someone Great
Ich wache vor ihr auf. Sanftes Licht fällt durch die weißen Vorhänge. Ich rücke ganz nah an ihr Gesicht heran und höre ihr gleichmäßiges Atmen. Bei Männern würde man das Schnarchen nennen. Ihre Augenlider zucken leicht, ansonsten ist ihr Gesichtsausdruck vollkommen friedlich.
Ich schaue mich in Christinas Zimmer um: Ein alter Fernseher steht in einer Ecke auf dem Boden, stapelweise CDs und Schallplatten, die vor den weißen, unverputzten Wänden lagern, ein schiefes Regal, in dem neben Büchern von Kafka, Christian Kracht oder Slavoj Žižek auch haufenweise zerlesene Schinken von Stephenie Meyer, Dan Brown, Robert Harris und Konsorten liegen. Muss ich mir gleich ein paar ausleihen. In der Mitte des Zimmers stehen zwei fleckige, durchgesessene Sessel und ein kleiner Holztisch, darauf der weiße Laptop, dessen Apfel-Logo mit einem Aufkleber von Universal überklebt wurde. Ein hoffnungslos überfüllter Aschenbecher steht direkt neben der Matratze auf dem Boden.
Eigentlich hätte ich mir das Zimmer einer A&R-Managerin anders vorgestellt. Da sieht es bei mir zu Hause ja aufgeräumter aus. Aber ich vermute mal, dass das Absicht ist,dass es eben so leicht kaputt aussehen soll, und alles ist dann doch fein säuberlich arrangiert.
Ich muss an die Wohnung von Kurt und Courtney denken, die natürlich riesengroß ist, vollgestellt mit Designerstühlen und Ikea-Möbeln, die nach Designermöbeln aussehen; aufgeräumt, aber trotzdem gemütlich. Genauso stellt
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