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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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man sich eine Wohnung von Leuten Anfang dreißig vor. Eigentlich fällt mir für Kurts und Courtneys Wohnung nur ein Wort ein: perfekt. Und hier bei Christina ist eben alles unperfekt. Unperfekt perfekt. Postperfekt.
    Christina wohnt nur ein paar Straßen von der No-Name-Bar entfernt, fast direkt am Kanal, der Kreuzberg von Neukölln trennt, in einer Zweier-WG mit Dr. Alban, der aber zum Glück gestern, als wir ankamen, noch nicht zu Hause war. Wie mittlerweile fast alle in den Medien nennen auch wir im Stadtmagazin ( wir – das hört sich an, als wäre ich ein echter Teil der Redaktion, ich belüge mich sogar beim Denken) diese hippe Ecke total lustig »Kreuzkölln«.
    Ich blicke wieder zu Christina, die immer noch friedlich neben mir schläft. Es klopft an der Zimmertür. Christina fährt sofort hoch und ist hellwach – so was habe ich noch nie gesehen. Ich brauche jeden Morgen, nachdem der Wecker geklingelt hat, immer noch mindestens eine Stunde, bis überhaupt an so etwas wie Aufstehen gedacht werden kann. Ich bin eben nur Kleinanzeigenbetreuer, da ist es nicht weiter schlimm, wenn ich mal zu spät komme. Mein viel zu netter Chef nimmt mir ohnehin nichts übel.
    Christina setzt sich im Bett auf, lächelt mich an und streicht mir beiläufig über den Rücken. Dann kommt Dr. Alban einfach rein. Er sieht etwas derangiert aus, sein Parka ist ziemlich dreckig, und die riesige Brille sitzt schief aufseiner Nase. Er lässt sich auf einen Sessel fallen und seufzt übertrieben laut. Es scheint ihn kein bisschen zu überraschen, mich im Bett seiner Mitbewohnerin zu sehen.
    »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, sagt er schließlich.
    »Wo warst du denn so lange?« Christina fischt neben der Matratze nach ihrer Zigarettenpackung, bekommt sie zu fassen, steckt eine Kippe in den Mund und zündet sie mit einer routinierten Handbewegung an. Noch einmal so jung sein und gleich nach dem Aufwachen eine rauchen. Aber schon ein paar Sekunde später kommt mir dieser Gedanke total bescheuert vor.
    »Ich weiß es nicht mehr«, sagt Dr. Alban. »Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich von der Galerie nach Hause gelaufen bin – dann wird alles schwarz. Etwa vor einer Stunde bin ich auf dem U-Bahnhof Kurfürstenstraße aufgewacht. Ich lag auf dem Boden und hatte eine riesige Beule am Kopf. Die Leute dachten, ich sei ein Penner, sogar zwei völlig fertige Drogis haben mich misstrauisch beäugt.«
    Was macht denn der jetzt auch in Tiergarten? Hat etwa bei mir um die Ecke ein neuer Club aufgemacht, wo sie den armen Hipstern K.-O.-Tropfen in das Billigbier kippen? Aber das hätte ich sicher gemerkt, das einzige Etablissement, das als clubähnlich durchgehen könnte, ist das Kumpelnest 3000 (der Name sagt in diesem Fall schon alles), und dort kann ich mir Dr. Alban beim besten Willen nicht vorstellen. Obwohl, vielleicht kann man das auch postironisch gut finden. Und etwa die gleiche Musik wie in Neuköllner Kellerclubs läuft da auch.
    Dr. Alban fasst sich mit der Hand an den Hinterkopf und wirkt tatsächlich fassungslos. Ich finde das alles auch höchstseltsam. Kurz überlege ich, ob ich die Gelegenheit nutzen und anmerken soll, dass ich in Tiergarten wohne und mich da ziemlich gut auskenne – das habe ich Christina nämlich noch gar nicht erzählt.
    »Du spinnst doch«, sagt Christina und pustet verächtlich Rauch in Dr. Albans Richtung. »Ich will gar nicht wissen, wie betrunken du gestern wieder warst.«
    Dr. Alban blinzelt Christina böse an, aber das Thema scheint damit erledigt. Ich nehme mir vor, ein andermal genauer darüber nachzudenken, im Moment gibt es ja noch genug anderes, was meine volle Aufmerksamkeit verlangt. Christina zum Beispiel.
    Dr. Alban hievt sich aus dem Sessel und trottet aus dem Zimmer. Christina lässt sich auf die Matratze fallen, nimmt meinen Kopf zwischen ihre Hände und schaut mir direkt in die Augen.
    »Was ist das hier?«, fragt sie und lässt mich wieder los.
    »Wir sind ja erst am Anfang von … ähh …« Ich beschließe, auch diesen Satz lieber nicht zu beenden. Furchtbar, so was zu sagen, geht mir sofort durch den Kopf. Anfang! Das impliziert gleich, dass ich auch ein Ende will, also eine echte Beziehung – das böse Wort. So viel Druck hält die heutige Jugend, für die selbst Freundschaften nur aus kleinen Profilbildern und Statusmeldungen bestehen, doch nicht mehr aus.
    »Anfang? Nein, wir sind schon mittendrin!«, ruft Christina aber gutgelaunt. »Wir sind jetzt ein Paar, mein lieber

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