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Lehmann, Sebastian

Lehmann, Sebastian

Titel: Lehmann, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Genau mein Beutelschema
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Mark, ein echtes, richtiges Liebespaar.«
    Das war ja mal eine ungewohnt eindeutige Aussage von ihr. Eindeutig ironisch.
    Plötzlich springt sie auf, bevor ich überhaupt nur mehrals zwei Sekunden über das nachdenken kann, was sie da gesagt hat. Dabei lässt sie ihre Zigarette auf die Matratze fallen, die ein kleines Loch in den Stoff brennt, was Christina gar nicht zu stören scheint. Sie hüpft – eine für diese Uhrzeit wirklich vollkommen unverständliche Fortbewegungsweise, aber anders ist das nicht zu beschreiben – scheinbar ziellos in ihrem Zimmer rum. Dabei scheint sie zu vergessen, dass sie nackt ist. Ich wende meinen Blick ab, morgens kann ich so viel Glück nur schlecht ertragen. Schließlich macht sie vor ihrem Laptop halt, drückt mit dem Zeigefinger darauf rum, bis aus den kleinen Computerboxen scheppernd ein Lied von LCD Soundsystem erklingt.
    »Ich muss jetzt arbeiten«, ruft sie fröhlich, fischt ihre Kleider vom Boden und zieht sich an.
    »Warum arbeiten?«, frage ich erstaunt. »Ist doch Samstag und gerade erst halb neun oder so.«
    »Das ist doch keine Arbeit, das macht mir Spaß.« Christina versucht, in ihre viel zu enge Röhrenjeans zu schlüpfen, aber weil sie so eng ist, springt sie, während sie am Hosenbund zerrt, immer ein wenig hoch. Das sieht sehr charmant aus. Diese Energie macht mich allerdings vollkommen fertig, und ich merke, wie ich wieder müde werde, so wie letzte Woche, als ich mit Dr. Alban in der No-Name-Bar saß. Ich überlege, wann ich zum letzten Mal am Samstag gearbeitet habe. Ich komme nicht drauf.
    »Wir können uns heute Abend treffen, wenn du Zeit hast, da ist so eine Party.« Sie zieht ein altes T-Shirt über ihren blonden Kopf. Ich nicke nur, weil ich das alles nicht glauben kann. Natürlich ist heute Abend eine Party. Es ist zum Glück immer irgendwo eine Party in Neukölln, Gelegenheiten genug, Christina besser kennenzulernen. Durch sie nimmtmein Leben eine ganz andere Wendung, merke ich so langsam. Oder eher: nimmt überhaupt eine Wendung.
    »Willst du Kaffee oder Tee? Ich kann mich da immer schwer entscheiden«, sagt sie, rennt aber schon aus dem Zimmer in Richtung Küche. Erst jetzt fällt mir ein alter, ziemlich dreckiger Stoffbeutel auf, der an der Türklinke hängt. »Freu dich nicht zu früh« steht darauf.
    Ich höre Geschirrgeklapper aus der Küche und überlege, auch aufzustehen, aber Aufstehen ist wie gesagt nicht so mein Ding. Und alles ist gerade so perfekt: Christina, die ich unerwartet wiedergefunden und mit der ich heute Nacht geschlafen habe, obwohl sie viel jünger und hipper ist als ich, springt in ihrer Wohnung rum, die ich ab jetzt immer ungestraft betreten darf, denn wir sind ein »Paar«. Ich kann das Wort zwar nur in Anführungszeichen denken, aber immerhin. Solche Momente sollte man genießen, wer weiß, wie oft man sie noch erleben darf. Mit vierzig ist das Leben ja vorbei, habe ich gehört, und das ist nun auch nicht mehr so wahnsinnig lange hin. Wobei, ich habe mit einundzwanzig auch gedacht, das Leben sei mit dreißig vorbei … Und jetzt?
    Christina kommt ins Zimmer zurückgestürmt, zwei dampfende Kaffeetassen in der Hand und eine neue Zigarette zwischen den Lippen. Sie setzt sich neben mich auf den Boden, spuckt die Kippe in den Aschenbecher und fährt gedankenverloren mit ihrer Hand durch meine Haare.
    »Seltsam, dass du jetzt hier bist. Ich seh dich immer noch vor mir, wie du in diesem Keller stehst und angewidert vor dich hin starrst.« Sie lacht.
    »Angewidert?«
    »Ich glaube, du warst der Einzige in dem Laden, der nicht getanzt hat und offensichtlich keinen Spaß hatte.«
    »Warum hast du mich dann angesprochen, wenn ich so schlechtgelaunt gewirkt habe?«
    »Na ja, eben weil du so traurig aussahst.«
    »Traurig oder schlechtgelaunt?«
    »Ich hab nicht lange drüber nachgedacht, sondern bin einfach zu dir hingegangen.« Christina nimmt einen großen Schluck Kaffee. Wahrscheinlich denkt sie nie lange darüber nach, bevor sie etwas in Angriff nimmt. Obwohl sie ja gestern meinte, dass sie mich schon länger beobachtet hat.
    »Aber warum bist du dann gleich wieder abgehauen?«
    »Irgendwie wusste ich, dass wir uns wiedersehen würden. Weißt du, ich bin etwas esoterisch. Meine Eltern waren Späthippies, haben immer meditiert und so was. Einmal sind wir sogar mit diesem Luxuszug, dem Darjeeling Limited, durch Indien gefahren. Die dachten wirklich, so würde man Erleuchtung finden.«
    Ich muss lachen. Und weiß wieder nicht, ob sie

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