Lehrerkind
dauerhaft heiser gewesen, was zwar jegliche Singstimme erfolgreich vernichtet hatte, aber mir wenigstens akustisch die Anmutung eines Erwachsenen verlieh, jetzt kam der Aknefluch. Ein Blick in den Spiegel reichte aus, um mir diese Annahme zu bestätigen: Ich sah immer noch aus wie eine halbgare Brühwurst, meine bleiche Haut überlagerte das Skelett wie ein fleischfarbener Putzlappen, Bartwuchs setzte auch nicht ein.
Eines Morgens wachte ich auf, und meine Gesichtshaut sah aus wie die eines genesungsfernen Patienten für trockene Lepra. »Klingone«, murmelte ich mir selbst zu und war überrascht, wie schnell auch meine Klassenkameraden auf diesen doch relativ kreativen Einfall kamen. Klingonen, die äußerst übellaunige Rasse aus dem Universum des Raumschiffs Enterprise, waren das serientechnische Ebenbild zu den jungen Liberalen: Sie waren schon in frühster Jugend Arschgeigen mit Hautproblemen, und auch später wollte kaum noch jemand etwas mit ihnen zu tun haben. Außerdem haben Klingonen, mit Verlaub, eine Scheide auf der Stirn.
Selbst meine Lehrer kommentierten meine Gesichtskirmes mit einem trockenen Lächeln. Ich war selbst im Vergleich zu den vielen Generationen von verpickelten Zahnspangenträgern, die sie über die Jahre schon bespaßt hatten, noch eine Art Absurdum, eine Sammelstelle für körperliche Fehlerhaftigkeit, die sie jede Woche mit einem neuen Auswuchs überraschte.
Schließlich erklärte mir sogar Onkel Willi, dass die knappe »Vier«, die er meinem Aussehen bisher gegeben hätte, angesichts der massiven Verschlechterung der Umstände nicht zu halten sei. Leider sei ich jetzt bei einer »Fünf«: sexuell versetzungsgefährdet. Das baute mich auf.
Nach ein paar Wochen der öffentlichen Scham entschied ich mich daher für einen Besuch beim Hautarzt, der sich meiner Bitte um Hilfe wegen der Beamtenkrankenkasse meiner Eltern auch sofort annahm.
Schon beim Betreten der Praxis wurde mir meine Ausnahmestellung bewusst, den Sprechstundenhilfen, allesamt Frauen mit einem Hang zur optischen Würdelosigkeit, fiel fast gemeinschaftlich der gemalte Lidstrich von der nussbraunen Stirn.
Unser Haushautarzt Dr. Spiecher betrachtete meine sonderbare Epidermis durch eine absurd große Lupe und lächelte mich dann durch das Vergrößerungsglas an wie ein alter Kugelfisch. »Pubertätsbedingte Akne«, attestierte er und stellte mir ein Rezept aus.
Überraschend. Etwas weniger vorhersehbar als die Diagnose des Doktors war sein Vorschlag zur Behandlung. »Vorsicht, mit dem Medikament ist nicht zu spaßen. Sie dürfen während der täglichen Einnahme weder Alkohol zu sich nehmen noch irgendwelche anderen Betäubungsmittel.«
»Wie lange muss ich das denn nehmen?«, fragte ich zögerlich, und mir schwante schon, dass er jetzt »mehrere Wochen« sagen würde.
»Ach, nur sechs Monate, dann ist der Spuk vorbei«, erwiderte er nüchtern und schob mir das Rezept über den Mahagonitisch.
Sechs Monate? Ich war kurz davor, 16 zu werden, und die einzige Möglichkeit, Partyabende als einsames Dickerchen zu überstehen, war die, dass man sich mit Alkopops zugoss. Anders waren der mich umgebende Frohsinn und die aufkeimende Geschlechtsreife der andern nicht zu ertragen. Ich spielte grundsätzlich nur den Zaungast und gab zwischendurch hin und wieder eine süffisante Bemerkung von mir, die dann von allen erwartungsgemäß ignoriert wurde.
Wenigstens bei meinen Eltern führte mein Klagelied von der ewigen Abstinenz zu viel Heiterkeit. Mein Vater las den dreiseitigen Beipackzettel laut vor und unterstrich mit rotem Textmarker, was er für besonders außergewöhnlich hielt.
»Trockenes Hautbild, Abschuppung, spröde Lippen, Nasenbluten, Harnröhreneffekte …«
»Infekte … es sind Infekte«, korrigierte meine Mutter.
»Ist doch völlig egal«, meinte mein Vater und las weiter aus der endlosen Liste der kleinen und großen Grausamkeiten vor, die mich möglicherweise erwarteten.
Um es gleich vorwegzunehmen, ich bekam sie alle. Nebenbei befahl sich mein Körper, der Liste noch ein paar neue Nebenwirkungen hinzuzufügen, sodass ich nach den ersten Wochen auf Ruraxilin zwar immer noch aussah wie frisch mit dem Mähdrescher gebürstet, dazu aber wenigstens noch unter Verstopfung und Keuchhusten litt.
Die schlimmste Nebenwirkung von allen sollte sich aber erst am Ende meiner Genesungsphase zeigen. Es war an einem Mittwoch in der sechsten Stunde bei Frau Zippert, unserer Religionslehrerin.
Meine Eltern hatten
Weitere Kostenlose Bücher