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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Blamage«, gurrte mein Vater böse. »Es hat doch eh kein Mensch was verstanden«, versuchte ich meine kleine Improvisation zu entschuldigen.
    »Ich habe es verstanden …«, sagte mein Vater dann und schwieg.

Doswidanja, Mütterchen Russland
    Mein Vater hielt sein Wort, er sprach wirklich nicht mehr mit mir. Jedenfalls nicht mehr an diesem Nachmittag. Als wir zu meiner Mutter zurückkehrten, spielte sie gerade ein russisches Trinkspiel mit Ivan und Alexej: Alle drei hatten einen Bierdeckel an den Kopf geklebt, sie lachten und amüsierten sich köstlich. Ganz im Gegensatz zu mir und meinem Vater, wir kehrten schweigend und mit einem verunsichert wirkenden Sergej im Schlepptau heim. Meine Mutter merkte recht schnell, dass mit unserem Auftritt etwas schiefgelaufen war, mein Vater verlor aber bis zum Tag unseres Abflugs kein Wort darüber.
    Als der letzte Tag unserer Reise anbrach, kamen noch einmal alle Lokosimovs zusammen, die Fahrt zum Flughafen erfolgte wieder in einer Kolonne, und diesmal saßen wir ganz an der Spitze im Wagen bei Ivan. Er hatte einen Blumenstrauß und ein kleines Plastikbrautpaar auf die Motorhaube geklebt.
    »Die chatten nix anderes«, lächelte er uns zu und begann damit, die nächsten 60 Kilometer konstant zu hupen. Nicht nur das immer noch andauernde Schweigen meines Vaters füllte den Innenraum des Wagens mit einer gewissen Tragik, irgendwie waren uns dreien die Lokosimovs trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer vielen Schrägheiten ans Herz gewachsen. Opa Alexej hatte für unsere Abreise extra seinen Lungenautomaten auf den Rücksitz hieven lassen, er weinte schon vor Rührung, bevor wir überhaupt unsere Sachen im Kofferraum verstaut hatten.
    Als wir am Flughafen ankamen, wartete die gleiche Propellermaschine auf uns, die uns vor zwei Wochen fast zu Feinstaub zermahlen hätte. Sergej drückte uns beim Abschied das Blut aus dem Hirn, es herrschte ein Gefühl ehrlicher Trauer darüber, dass die Gäste, die so oft mit ihren fremdländischen Gepflogenheiten (zum Beispiel Grünkohl nicht mit Zucker zu essen) überrascht hatten, jetzt schon wieder gehen mussten.
    Sogar bei mir und meiner Mutter flossen ein paar Tränen, mein Vater gab das Maximum an Ergriffenheit von sich, das ein deutscher Beamter äußern konnte, und räusperte sich mehrmals sehr intensiv.
    Mamita Maja strich mit ihren welken Händen über mein Gesicht und murmelte ein paar russische Abschiedsformeln, während auch ihren Knopfaugen kleine Tränen entflossen. Vielleicht freute sie sich auch nur, dass mir in der Zeit unseres Aufenthalts trotz ihrer anfänglichen Verwünschungen keine Hörner und kein Schwanz gewachsen waren.
    Als die Maschine schließlich klappernd abhob und in den klaren Himmel des russischen Nirgendwo entschwebte, sah mich mein Vater an und sprach zum ersten Mal wieder mit mir.
    »Sag mal, wusstest du eigentlich, dass Leslie Mandoki von der Gruppe Dschinghis Khan in Ungarn geboren ist?«
    »Ja, Papa, das wusste ich – was meinst du, wessen Plattensammlung mich auf die Idee mit dem Gedicht gebracht hat?«
    »Na«, grunzte er versöhnlich. »Dann haben die Besuche bei Easy Records ja doch was zu deiner Erziehung beigetragen.«
    Ich nickte, und wir überlebten, allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz, den Heimflug von dieser zugegebenermaßen ziemlich lustigen Bildungsreise.
     

Jesus in der Pubertät
    Die Pubertät traf mich mit der Gewalt einer Kanonenkugel in die Leiste. Plötzlich und unvermittelt setzte meine Reifung ein und verformte meinen gedrungenen Kinderkörper in einen dicken Ast, an dessen Seiten viel zu lange Gliedmaßen hervorschossen.
    Da Gott sich wohl entschieden hatte, jede einzelne Plage der Menschwerdung an mir auszuprobieren, bekam ich neben meiner Dicklichkeit, Kurzsichtigkeit und diversen orthopädischen Zivilisationserkrankungen jetzt auch noch Akne. Die Pusteln entstellten mich in einem Maß, dass selbst meine Eltern nur noch mit Mitleid in mein Gesicht schauen konnten. Als hätte ich meinen Kopf auf eine Landmine gehauen, waren Stirn und Wangen über und über mit Pickeln bedeckt. Ich rieb mich mit verschiedenen Tinkturen ein, die meine Mutter bei ihrem Haus- und Hofhomöopathen requirierte, aber das führte nur dazu, dass ich glänzte wie ein frischer Honigschinken aus der Supermarktauslage.
    Meine Chancen bei Frauen sanken abermals, in diesem Zustand hatte das andere Geschlecht so viel Zuspruch für meine Avancen, als wäre ich ein buckliger Henker mit Zahnfäule. Erst war ich

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