Lehrerkind
Frohsinn und Begeisterung über das eigene Schulfach. Herr Fischer war einer der wenigen Lehrer, die sich der humanistischen Bildung mit Leib und Seele verschrieben hatten.
Die Splittergruppe der weiblichen Lateinlehrer wird hier nicht ausführlich erwähnt, erstens weil die Lehrerinnen viele Grundeigenschaften mit ihren männlichen (Leidens-)Genossen teilen (abgesehen von dem Hang zur speckigen Lederjacke, die man sonst ohnehin nur bei Männern findet, die in den hintersten Ecken der Bahnhofsbuchhandlung nach Heften über Sex mit dicken, haarigen Frauen suchen), zweitens weil sie einen so geringen Teil der Gesamtpopulation ausmachen, dass sie kaum eingehend zu analysieren sind.
Eine eigene Praxis
»Jetzt mach doch mal was aus deinem Leben«, sagte meine Mutter mit der drängenden Kraft eines Schlagbohrers. Mein Vater saß neben ihr und schaute betreten. Irgendwie schaute er immer betreten, wenn meine Mutter in diesem Ton zu mir sprach.
»Ich bin erst 16, was soll ich denn machen?«, griente ich zurück. Die Frage war allerdings durchaus angebracht. Das Abitur rückte näher, meine Noten waren überraschenderweise sehr in Ordnung, ich hatte kaum Fehlstunden, nahm keine Drogen und hatte auch noch keinen Aufenthalt im Jugendarrest hinter mir … noch nicht.
»Andere wissen in dem Alter schon, was sie werden wollen«, quiekte sie weiter und spielte damit eindeutig auf Sören Malte an, meinen unseligen Cousin. Mein Vater nickte synchron, als müsste er das Gesagte noch telegrafieren. Nicht nur, dass Sören Malte schon mit sieben gewusst hatte, dass er mal ein Wirtschaftsimperium leiten würde, nein, er hatte es verdammt noch einmal auch noch geschafft und saß jetzt mit Ende zwanzig im Chefsessel eines Immobilienbüros. Sören Malte war so spannend wie das Wort zum Sonntag auf Albanisch, und ich hätte mich niemals an diesem gegelten Egel, der FDP wählte und einen nagellackroten Audi TT fuhr, messen wollen. Das Engagement meiner Mutter für meine Werktätigkeit überraschte mich etwas, war sie es doch gewesen, die mit ihren neugierigen Anrufen meine Karriere als Tengelmann-Regalschubse nach wenigen Stunden Ferienjob gleich wieder beendet hatte. Ich hatte den Fehler gemacht, direkt neben dem Gurkenregal ans ständig klingelnde Telefon zu gehen, wofür mich die Filialleiterin Frau Patzig, eine eins zwanzig große Tyrannin mit Hitlerbart, nach nicht mal drei Stunden Arbeit in den Ruhestand entließ.
»Wie wäre es denn mit Zahnarzt?«, schlug sie allen Ernstes vor, verstummte dann im Gedanken an meine angeborene Grobmotorik aber gleich wieder. Wahrscheinlich huschte ihr gerade das Bild durch den Kopf, wie ich meinem ersten Patienten versehentlich den Bohrer ins Hirn rammte.
»Oder Jura, wie wäre denn Jura?«, lautete ihre nächste Spitzenidee. Ich plädierte auf »nicht fähig«. Erstens war allein der Gedanke gruselig genug, den Rest meines Lebens im BGB nachzublättern, ob man seinen Nachbarn verklagen konnte, weil der seinen Rasen mit Eigenurin bewässerte, und zweitens sah ich im Anzug aus wie ein Zehnjähriger bei der Erstkommunion.
»Stell dir mal vor, eine eigene Praxis …«, malte meine Mutter ihren Spießertraum vom holzvertäfelten Prachtbüro aus, in dem ich über Sprechanlage einen Kaffee bei meiner Sekretärin ordern konnte.
»Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich Anwalt werde, lieber schrubbe ich für den Rest meines Lebens die Dixiklos auf Rockkonzerten«, brüllte ich den Establishmentträumen meiner Eltern entgegen.
»Du schuldest uns aber noch was«, sagte mein Vater. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, er konnte es kaum erwarten, den Satz zu vollenden. Jetzt würde er gleich wieder mit der Statistik kommen, dass jedes Kind bis zum Berufseintritt seinen Eltern etwa eine halbe Million Mark kostete. In meinem Fall sei es eigentlich das Doppelte, weil ich immer so viel gegessen hatte. Seit er mal einen Artikel über diese Milchmädchenrechnung gelesen hatte, hörte er gar nicht mehr auf, mir meinen persönlichen Tilgungsplan für die nächsten 30 Jahre zu erstellen.
»Genau 465 Mark«, sagte er und schob zu meiner Überraschung einen kleinen Zettel mit der Endabrechnung meiner Kopfnoten aus der Grundschulzeit über den Tisch. Insgesamt hatte ich in drei Jahren 225 Mark durch gute Noten verdient und 690 Mark durch schlechtes Benehmen wieder verloren. Ergebnis war, dass ich meinen Eltern 465 Mark für grobes Fehlverhalten schuldete. Von der halben Million mal ganz zu schweigen.
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