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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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sollte ich die denn jetzt kennen? Überspringen. Pilawa schüttelte enttäuscht den Kopf. Sozialversicherungsnummer. Überspringen. Nettoeinkommen. Wozu war ich denn hier? Ich hatte ja noch gar keins, also ebenfalls »Überspringen«.
    Langsam wurde es besser, ich durfte meine Interessen eingeben. Das war natürlich gar keine so einfache Frage. Galten Fernsehen, Chips essen und Kinofilme auch als Interessen? Oder fiel das eher unter geistige und körperliche Verwahrlosung? Ich tippte mein sehr schmales Interessenspektrum ein und log noch ein »Sport treiben, kulturelles Engagement« hinzu. Pilawa schaute mich ausdruckslos an – war ja auch keine leichte Aufgabe, tagein, tagaus orientierungslosen Pfeifen wie mir beim Lügen zuzuschauen.
    Dann kam ein elend langer Katalog an Multiple-Choice-Aussagen, einfaches »Ja/Nein« genügte.
    »Ich bin interessiert an vielfältigen Aktivitäten.«
    Eindeutig »Ja«.
    »Ich kann mich bei der Arbeit richtig reinhängen.«
    Könnte sein … also »Ja«.
    »Ich mag die Natur.«
    Doch, »Ja«, ich hatte nur manchmal das Gefühl, die Natur mochte mich nicht.
    »Ich bin gerne im Freien.«
    Mmh, wenn nichts im Fernsehen läuft, wohl auch »Ja«.
    Bisher hatte ich einen wirklichen Run, vier Mal »Ja« bei vier Fragen, das war wohl schon ein sehr guter Wert. Ich schlug eindeutig den Karrierepfad zum Astronauten oder zumindest zum Hochschulprofessor ein.
    »Ich brauche nicht viel zum Leben.«
    Viel wovon denn? Geld ja nun nicht, die halbe Million Mark bei meinen Eltern konnte ich ja in Raten abzahlen. Also wieder »Ja«.
    Das Bild wurde kurz schwarz und präsentierte dann den Schriftzug: »BiWip berechnet deine Zukunft.«
    Das klang gut. Ich lehnte mich zurück und wartete, was für ein verlockendes Angebot Pilawa nach meinen Ausführungen für mich haben würde, vielleicht etwas in einer Führungsetage? Die Phantasien meiner Mutter über das holzvertäfelte Luxusbüro waren eindeutig infizierend.
    Dann kam meine Zukunft. Wie ein Sack Zement ins Gesicht.
    Die vorgeschlagenen Berufswege lauteten:
    »1) Förster
    2) Opernsänger
    3) Hygienetechniker
    Informationsmaterial zum jeweiligen Berufszweig entnehmen Sie bitte dem Archiv in Raum 43c.«
    »Bittttteeee«, kreischte ich auf. Ich konnte hören, wie die Leute in den anderen BiWip-Kabinen genervt schnauften. Sollten sie doch – die hatten ja auch die niederschmetternde Vorhersage noch nicht erhalten, dass sie höchstens als Putzfrau oder Tannenstutzer geeignet waren.
    Pilawa starrte mich verständnislos an, seine Aufgabe war erfüllt, das Bild sprang wieder auf den Anfang zurück, und der miese Drecksack zeigte erneut auf den roten Button mit der Aufschrift »Beginne die Erfahrung«.
    Ich platzte fast vor Wut. Förster, das war doch das Letzte. Ich hatte sogar geschafft, die kleine, standhafte Kaktee auf meiner Fensterbank verrotten zu lassen. Ich würde innerhalb eines halben Jahres den Schwarzwald zur Wüste niedergewirtschaftet haben. Opernsänger … na ja, vielleicht bevor mir der Stimmbruch die Oktaven geraubt hatte. Aber Hygienetechniker? Basti, die Putzfrau?
    Ich beschloss, mir meine Antwort direkt bei der zuständigen Fachkraft zu holen und schoss durch die muffigen Gänge des Amtes. F234 hin oder her, Frau Salpeter war mir erst einmal ein paar Erklärungen schuldig. Ich riss die Tür zu ihrem Büro auf und brüllte: »Ich will Antworten auf meine Erfahrung!« Ich klang wohl, als wäre ich gerade im Wigwam einer Bekehrungssekte erleuchtet worden, denn Frau Salpeter schob in Zeitlupe ihr Kaugummi von der linken in die rechte Wange und kläffte nur ein elendig genervtes: »NUMMER?«
    Ich hielt mein dösiges Zettelchen hoch und behauptete, das tue hier gar nichts zur Sache. Dieser Meinung war Frau Salpeter eindeutig nicht. Sie drohte mir mit dem Sicherheitsdienst und tippte bereits hektisch auf ihrem Tastentelefon herum. Ich entschied, dass ich gerade nicht festgenommen werden wollte, und ging in den stickigen Warteraum zurück, in dem ich die restlichen vier Stunden Wartezeit damit verbrachte, mir böse Spitznamen für Gudrun Salpeter auszudenken.
    »Mett-Igel mit Beinen.«
    »Die rote Zora von Bora Bora.«
    »Die zarteste Versuchung, seit es Fußpilz gibt.«
    »Regentonne mit Brüsten«, murmelte ich gerade, als die rote Digitalanzeige auf »F234« sprang. In Sekundenbruchteilen nahm ich vor Frau Salpeter Platz, ihre Mimik hatte immer noch die Dynamik einer Nashornrosette, während sie mich kritisch ansah und einen

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