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Lehrerkind

Lehrerkind

Titel: Lehrerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Bielendorfer
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Eltern hoben eine Locke aus der Kinderzeit oder die ersten Schuhe Größe 16 auf, meine sammelten meine Schuldscheine und archivierten sie als ewiges Zeugnis meines schlechten Benehmens.
    Bockig trat ich gegen die Tür, die scheppernd in den Rahmen knallte, und hörte meinen Vater nur dumpf noch durch das Holz rufen: »Du glaubst doch wohl nicht, dass du bei einem solchen Verhalten noch mal eine Eins bekommst?«

Pilawa sagt, ich soll Putzfrau werden
    Das Berufsinformationszentrum war ein grauer Plattenbau, der wie ein Blinddarm am riesigen Gebäude des Arbeitsamtes Gelsenkirchen hing. Auf dem trostlosen Vorplatz liefen ein paar Tauben ziellos um einen Obdachlosen herum, der an einen blattlosen Baum gelehnt ein Schläfchen hielt. Auf einem kleinen Mauervorsprung direkt vor dem Eingang saß eine Frau mit einem notdürftig bekritzelten Pappschild, auf dem »Suche Arbeit« stand. Ich musste lächeln und überlegte, ob ich ihr raten sollte, sich doch mal umzudrehen. Aber, wie ich gleich erleben sollte: Hochmut kommt vor dem Fall.
    Als ich das BIZ betrat, schlug mir direkt die unverwechselbare Geruchsmischung aus Kaffeesatz, Kopierfarbe und Asbeststaub entgegen, die so ziemlich jedes städtische Büro auszeichnet. Mir bot sich ein Bild, bei dem sich jeder Feng-Shui-Berater die Augen mit einem Esslöffel herausgepopelt hätte: grauer Teppich, graue Plastikpflanzen, graue Menschen, Staubmilben in Ekstase. Auf den schmalen, mit Teppich ausgelegten Fluren eilten Menschen hektisch hin und her, in einem kleinen Warteraum hustete ein Mann mit einem beachtlichen Vollbart elegisch. Daneben gab es noch einen Warteraum. Und noch einen. Dahinter befanden sich ein Klo und noch ein Warteraum. Über jeder der zahllosen Türen war eine digitale Nummerntafel angebracht, an den Wänden klebten vergilbte Kunstdrucke von Miro und van Gogh. Ein kleiner, surrender Automat spuckte Zettelchen aus, sofern man einen roten, blinkenden Knopf drückte. Idiotensicher. Ich drückte. Nichts geschah.
    Nach dem sechsten, immer nervöser werdenden Drücken, erhob sich ein Mann, der neben einer Plastikpalme in der Ecke saß, und trat kräftig gegen den Automaten. Daraufhin ließ die Maschine ein kleines Papierstück mit dem Aufdruck »F234« fallen. Bevor ich mich bedanken konnte, setzte sich der Mann wieder neben die Plastikpalme und schloss die Augen.
    Ich fühlte mich mit zunehmender Verweildauer immer unwohler und versuchte, dies durch betont teilnahmsloses Blättern in der BIZ-Broschüre zu überspielen.
    Meine Sachbearbeiterin auf Seite 13 hieß Gudrun Salpeter und sah auch so aus. Ihr welliges rotes Haar, eine leicht schief sitzende, getönte Brille und ein Hintern, der zu allen Seiten über den unvorteilhaften Bürostuhl hinausquoll, strahlte mich in Hochglanz an. Wie ich wenig später erfahren sollte, litt Frau Salpeter unter beruflich bedingter schlechter Laune mit vermehrt auftretenden Anfällen von Amtsmüdigkeit und purer Willkür. Sie saß wie alle anderen in einem kleinen, gläsernen Kastenbüro und beriet Schüler, Studenten und andere Beschäftigungslose auf ihrem Weg ins Berufsleben. Mein Weg ins Berufsleben hörte derzeit noch auf den schlichten Namen F234. Leider blinkte über Frau Salpeters Glaskammer gerade erst die F193 auf, und in dem winzigen Warteraum neben ihrem Büro stapelten sich geschätzte hundert Menschen, von denen die Hälfte noch vor mir an der Reihe zu sein schien. Ich erblickte ein Schild, das für mich als Angehöriger der Generation X, deren Aufmerksamkeitsspanne gerade einmal die Zeit eines Werbeblocks überbrücken konnte, geradezu wie gerufen kam.
    »Wollen Sie Wartezeiten verkürzen? Nutzen Sie unsere elektronische Beratung mit der Hilfe von BiWip, dem Berufsinformationswissensportal.« Neben dem Schild winkte mir eine sehr amateurhaft gestaltete Computerfigur mit blonden Haaren fröhlich zu – die aussah, als hätte man Jörg Pilawa plastiniert.
    Ich folgte der Aufforderung und saß wenige Augenblicke später auf einem kleinen Plastikstühlchen in der BiWip-Kabine und starrte auf einen hektischen Pilawa, der mit seinem quadratischen Zeigefinger auf einen Button mit der Aufschrift »Beginne die Erfahrung« deutete. Ich drückte und wartete auf »die Erfahrung«. Diese bestand erst einmal darin, mein Geburtsdatum einzugeben. Und das meiner Eltern. Hier scheiterten sicher schon viele und gingen lieber zu Frau Salpeter. Ich nicht. Das wusste ich noch. Adresse war auch okay. Versicherungsnummer … ääh. Woher

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